Ruhiges Referendum in Osttimor

Trotz Drohungen proindonesischer Milizen ist die Beteiligung an der Abstimmung über die Zukunft des Inselzipfels hoch. Beobachter sind beeindruckt  ■   Aus Dili Jutta Lietsch

Der Tag der Entscheidung über die Zukunft Osttimors wurde zum Tag der Hoffnung und der Würde: Schon vor Sonnenaufgang warteten viele Menschen gestern vor den 200 Wahllokalen der Region, begierig, darüber abzustimmen, ob sie künftig bei Indonesien bleiben oder unabhängig werden wollen. Sie trotzten ihrer Angst und den Warnungen vor Überfällen proindonesischer Milizen.

Viele der knapp 452.000 wahlberechtigten Osttimoresen waren stundenlang aus ihren Dörfern in den Bergen gewandert. Sie kamen im Sonntagskleid und hielten ihre Wählerkarte fest umklammert. In der Haupstadt Dili fuhren sogar Nonnen mit dem Krankenwagen aus der Klinik ihre Patienten heran, die unbedingt dabei sein wollten.

Bis zum frühen Nachmittag hatten bereits vier Fünftel aller registrierten Wähler ihre Stimme abgegeben, und die Mitarbeiter der UNO-Mission in Osttimor (Unamet), die das Votum organisiert hat, waren erleichtert. „So weit, so gut“, sagte der zum Understatement neigende britische Unamet-Chef Ian Martin.

„Ich bin sehr ermutigt und sehr froh über die Disziplin und die Begeisterung“, kommentierte auch Jamsheed Marker, der persönliche Gesandte für Osttimor von UN-Generalsekretär Kofi Annan, die Szenen vor den Abstimmungszentren in Dili. Der irische Außenminister David Andrews, der eine europäische Beobachtergruppe leitete, erklärte, man habe „keine Einschüchterung“ beobachtet.

Selbst in den Bezirken, in denen die Milizen in den vergangenen Wochen besonders brutal gegen Befürworter der Unabhängigkeit vorgegangen waren, konnten fast alle Wahllokale geöffnet werden. An drei Orten soll die Abstimmung heute wiederholt werden.

In der indonesischen Hauptstadt Jakarta eskortierten Polizisten den unter Hausarrest stehenden Chef der osttimoresischen Unabhängigkeitsbewegung, Xanana Gusmao, zum UNO-Wahllokal. 13.000 Osttimoresen, die im Ausland leben, konnten ebenfalls ihre Stimme abgeben: Für sie hatte die UNO Wahlboxen in Australien, Portugal, den USA und in den ehemaligen portugiesischen Kolonien bereitgestellt.

Für Präsident B.J. Habibie war der gestrige Tag jedoch eine bittersüße Angelegenheit. Noch am Vorabend hatte er an die Osttimoresen appelliert, Indonesien nicht zu verlassen. Nach den schweren Unruhen war Habibie im Ausland heftig kritisiert worden, weil er es nicht schaffte, in der winzigen Region 2.000 Kilometer östlich von Jakarta für Sicherheit zu sorgen. Habibie musste deshalb sehr erleichtert über den friedlichen Abstimmungsverlauf sein. Auf der anderen Seite gibt es in Jakarta starke Kräfte in der Regierung und im Militär, die eine Unabhängigkeit Osttimors keinesfalls akzeptieren wollen.

So meldeten sich gestern bereits Stimmen, die der UNO vorwarfen, die Osttimoresen zugunsten der Unabhängigkeit beeinflusst zu haben. Justizminister Muladi forderte, das Referendum zu wiederholen, falls es Einschüchterungen durch die Unamet gegeben habe.

Das Ergebnis wird spätestens für den 7. September erwartet. Falls das Votum gegen Indonesien ausfällt, bleibt der Weg zur Unabhängigkeit jedoch noch mühsam: Zunächst muss die neue „Beratende Volksversammlung“, das höchste politische Gremium Indonesiens, voraussichtlich im November der Trennung von der „27. Provinz“ zustimmen.