Schöner Wohnen in Tenever

■ Der Kulturverein Quartier e.V. lässt Bremer Kinder eine Woche lang Innenarchitekt spielen und lädt jetzt zur Besichtigung der Ergebnisse

Wenn man von der Otto-Brenner-Straße in die Neuwieder Straße abbiegt, ist das nicht viel anders, als wenn man bei Bayerischzell oder bei Murnau in die ersten tiefen Alpentäler wegtaucht. Wie Matterhorn und Wendelstein türmen sich die schlamm-, granit- und moosfarbenen, getreppten Gebäudekolosse der GEWOBA links und rechts. Tenever: Für die komischen Bremer die Inkarnation der Menschenfeindlichkeit. Entsprechend hoch ist der Leerstand, verwaiste Klingelschilder, gardinenlose Augen. Haben eben keinen Sinn für das Höhere, die Bremer. Doch der Berg ruft. Seit Juli pilgerten neun Hort- und Schülergruppen – meist aus der City – jeweils eine Woche ins urbane Abseits. An die Hand genommen wurde jede Gruppe von ihrer ErzieherIn und einer KünstlerIn.

Seit zehn Jahren fällt dem Quartier e.V. jedes Jahr ein neuer Trick ein, um die Kids aus ihrer ästhetischen Reserve zu locken. Letztes Jahr etwa lud man ein zum Kopieren und Paraphrasieren von Meisterwerken aus Bremer Museen: Was ein Picasso kann, das können wir doch schon längst. Dieses Jahr dürfen die 5- bis 14-Jährigen leerstehende Wohnungen schmücken.

Neuwieder Straße 42, 1. Stock links, wurde zugemüllt mit Blumenmeeren. Mehrmals rasten engagierte Eltern zum Großmarkt, um halbverwelkte Topfpflanzen umsonst abzustauben. In der Neuwieder Straße 42, 1. Stock rechts, dagegen herrscht die noble Leere einer snobbigen Galerie. So oder so, nichts am Hut hat man jedenfalls mit altdeutschen Wohngepflogenheiten wie der strikten Trennung von Schlafen, Kochen, TV-Schauen (vulgo: Wohnen). Und ein Bodenbelag aus fusseligem, stinkenden, kuhstalligem Stroh widersetzt sich rotzig allen Geboten der Hygiene. Nichts für Asthmatiker. Aber auch den kleinlichen Zwängen von Feng Shui, der Kunst der optimalen Energielinien, hält man sich fern. Wohlfühlen ist eben nicht normierbar.

Wozu teure Bilder, wenn selber zu Pinsel und Farbeimer greifen kann? Wozu vorgefertigte Möbel, wenn auch ein Heuballen zum Sitzen taugt. Und überhaupt würde man am liebsten im Freien hausen – und baut im Schlafzimmer ein echtes Zelt aus Ästen. Einweckgläser in der Küche enthalten statt handfester Kirschen und Gurken seltsame Muscheln und Steine. Nicht einmal vom niederen Trieb der Selbsterhaltung lässt man sich beugen. Eine klare Themenvorgabe motivierte die Kids zu diesem Zermalmen der Ikea-Vernünftigkeit. Die eine lautete „Die Oase – ein Wald im Wohnzimmer“, die andere „Wahre Träume – Fotoarbeiten“.

Die Leute vom Quartier e.V. erzählen, dass sich die GEWOBA gegenüber dem Kulturattentat bemerkenswert offen zeigte und sogar am Tag der Pressepräsentation schnell noch den Pinkelgeruch im Treppenhaus beseitigte. Dagegen wird es zunehmend schwieriger, LehrerInnen und ErzieherInnen für solch außerordentliche Projekte zu gewinnen, sei's aus zunehmender Desillusionierung, sei's aus zunehmender Überlastung.

Die Kids aus der Stadt sollen zunächst fasziniert gewesen sein von der ungewohnten Optik von Bremen-Ost. Doch mit der Zeit rümpften sie die Nase über abblätternden Verputz und Dreck. Auch die Fotografin Andrea Lühmann machte Bekanntschaft mit dieser Spießer- und Krämerseele im Kind. Ihre Gruppe durfte zunächst mal in in der City in einem echten Studio drauflos fotografieren. Das war natürlich rasend aufregend. Modell stand ein Holzpferd und irgendein neues Kult-Stofftier, das die Garfield-Generation der taz-Leser nicht mehr kennt.

Aus dem Bildermaterial wählten die Kinder ausgerechnet das Konventionellste für die Wandgestaltung aus. Raus fielen alle angeschnittenen oder verschwommenen Motive. Und auch den Verfremdungseffekt einer S/W-Fotokopie konnten die Kurzen partout nicht würdigen. Immerhin favorisierten sie eine Quer-Beet-Hängung a la Wolfgang Tilmanns. Irrsinng anstrengend, dafür auch spannend fand Andrea Lühmann die Arbeit. Die Sache mit der überbordenden, unverfälschten Kreativität von Kindern, ist aber nicht so doll, wie man gemeinhin denkt, sagt sie. Ein Grund mehr, die Kids auch weiterhin vom Quartier e.V. durch Bremer Quartiere zu jagen. bk

Wohungspräsentationen gibt es vom 6. bis 10. September in Bremen-Tenever und –Vegesack, Bremerhaven und Stuhr-Brinkum. Die Termine in Osterholz-Tenever: 10. September, 15 Uhr Otto-Brenner-Allee 54, 6. Stock, sowie Pfälzer Weg 1, 2. Stock, und Neuwieder Straße 22, 1. Stock. Der Termin in Vegesack, Grohner Düne: 8. September 15 Uhr an der Friedrich-Klippert-Straße 16, 4. Stock. Auskunft über weitere Termine und Besichtungsmöglichkeiten gibt Andrea Siamis unter 42 46 31