Der französische Bauer ist sauer

■ Wer verdient wie viel am Pfirsich – französische Supermärkte listen mehrere Preise. Die Bauern protestieren täglich auf der Straße

Paris (taz) – Wer in Frankreich in einen Supermarkt geht, sollte sich Zeit nehmen und die Lesebrille nicht vergessen. Denn seit der Pariser Landwirtschaftsminister Jean Glavany Mitte August entschieden hat, dass für bestimmte Früchte neben den Endverbraucherpreisen auch die Erzeugerpreise etikettiert werden müssen, gibt es dort jede Menge Literatur. Nehmen Sie einen gelben Pfirsich aus der südfranzösischen Drôme. Der hat seinem Produzenten zum Beispiel 1,91 Franc das Kilogramm eingebracht. Als Endverbraucher müssen Sie dafür 8,10 Franc bezahlen. Beides steht auf den Preisschildern.

Doch mit diesen beiden Angaben geben sich die wenigsten Supermärkte zufrieden. Darüberhinaus listen sie neuerdings auf, wieviel der Transporteur an dem Kilo Pfirsich verdient hat, wie viel sie am Großmarkt dafür zahlen mußten und welche Versicherungs-, Konservierungs- und Personalkosten sie in das Kilo Pfirsich gesteckt haben. Am Ende schwirrt dem Kunden der Kopf vor Zahlen. Zumal er außer der Vielpreisetikettierung der Früchte noch allen möglichen anderen Lesestoff absolvieren muß: die „Kategorie“ der Früchte. Das Verpackungsdatum. Die Zertifikate über die „garantiert französische“ Herkunft des Steaks. Sowie die Preisangaben in Euro.

Preisgünstiger für den Kunden sind die Pfirsiche unterdessen nicht geworden. Und auch der Obstbauer in der Drôme, dessen Proteste dazu beigetragen haben, daß die Doppeletikettierung eingeführt wurde, hat davon nicht profitiert. Mit seinen 1,91 Franc pro Kilo verdient er weiterhin weniger, als ihn der Anbau seiner Pfirsiche gekostet hat. Also demonstriert er. Jeden Tag woanders. Mal besetzt er mit seinen Kollegen die Kassen von Supermärkten und läßt die Kunden ihren Einkauf gratis nach Hause tragen. Mal verbrennt er Hunderte von Einkaufswagen vor einer Steuerbehörde. Mal lädt er Dutzende Tonnen überreifen Obstes vor einer McDonald's-Niederlassung ab und fährt sie mit den dicken Reifen seines Traktors zu Matsch. An der Spitze dieser Protestbewegung hat sich mittlerweile ein Bauernfunktionär zum Prominenten entwickelt: José Bove wurde nach dem Sturm auf McDonald's verhaftet. Gestern forderten Demonstranten in Montpellier seine Freilassung, während in Salon-de-Provence 15 Tonnen Obst und Gemüse auf der Straße landeten. Und jedes Mal lädt der wütende Bauer Kameraleute vom Fernsehen ein, damit sie seine Wut dokumentieren. In deren Mikros sagt er, daß Bauern wie er „kaputt gemacht werden sollen“. Als Schuldige benennt er wahlweise die „Großhandelsorganisationen“, „Paris und Brüssel“ und „Amerika“. Die gute Ernte dieses Jahres, die schon mit den Erdbeeren anfing und jetzt mit den Hochsommerfrüchten – von Aprikosen über Gurken bis hin zu Rosinen – weitergeht, macht den französischen Obst- und Gemüsebauern schwer zu schaffen. Wie zuvor die Schweine-, die Hühner- und die Schafzüchter müssen sie ihre Produkte zu einem Preis verkaufen, der unterhalb ihrer Gestehungskosten liegt. Erschwerend hinzu kommen die Konkurrenz von Billiglohnländern und die ruinösen Machenschaften der Großhandelsorganisationen, die bei leicht verderblichem Gut besonders leicht jonglieren können.

Französische Bauern sind gut organisiert und kampferprobt. Ihre größte Organisation, die konservative FNSEA, macht alljährlich und landesweit mit militanten Aktionen auf sich aufmerksam. Die kleine linke Gewerkschaft „Confédération Paysanne“ trat kürzlich mit massivem Protest an einer McDonald's-Baustelle an die Öffentlichkeit (vgl. taz vom 23. 8.). Um die Wut der Bauern zu dämpfen, hatte Landwirtschaftsminister Glavany die Doppeletikettierung eingeführt. Er nannte sie „ein Instrument der Transparenz“, das den Konsumenten die Informationen liefere, um die Handelsorganisationen zu kontrollieren. Das allein, so Glavanys frommer Wunsch, könne schon ihre Kalkulation verändern. Weit gefehlt. Neben den Bauern sind auch die Supermärkte von der Sinnlosigkeit der Doppeletikettierung überzeugt. Die Kunden ihrerseits haben schnell gelernt, das umfangreiche Zahlenmaterial schlicht zu überlesen. Außerhalb der Supermärkte hält sich ohnehin kaum jemand an die Doppeletikettierung, die gegenwärtig für neun Früchte und Gemüse gilt. „Viel zu aufwendig“, schimpft eine Marktfrau in Paris, die jeden Morgen 20 Preistafeln mit Kreide beschreiben muß. „Reine Augenwischerei“, sagt ihr Standnachbar.

Dorothea Hahn