Nicht ganz dicht, die Endlager

■  taz-Serie „Täglich ein guter Grund für den Atomausstieg“ (Folge 4): Endlagerung ist ein Wettlauf mit der Zeit: In Asse II und Morsleben sickert Salzlauge, die Schächte sind nicht stabil

Hannover (taz) – Mit der Produktion von Atommüll überschreiten Wissenschaftler, Militärs und die Energiewirtschaft täglich eine Grenze: Sie stellen höchst gefährliche, in der Natur nicht vorkommende Stoffe her, die sie nicht in ungefährliche Materialien zurückverwandeln können. Den Zerfall einmal produzierter radioaktiver Stoffe kann man weder aufhalten noch beschleunigen. Physikalisch wäre es allenfalls möglich, Atommüll in speziellen Brutreaktoren erneut mit Teilchen zu beschießen und dort die eine Art radioaktiver Stoffe in eine andere umzuwandeln. Diese sogenannte Trans- oder Permutation von Atommüll spukt zwar seit langem durch die Köpfe der Experten. Sie würde aber die Kosten der Atomstromproduktion vervielfachen und die sogenannte friedliche Nutzung der Kernenergie wirtschaftlich gänzlich ad absurdum führen. Radioaktive Strahlung schädigt oder zerstört die DNA, aus der jeder Zellkern besteht.

„Tief vergraben, warten und hoffen“ – lautet denn auch das Motto, unter das man alle Entsorgungspläne stellen muss. Für Millionen von Jahren wäre der langlebige Müll getrennt von der Biosphäre aufzubewahren, bis die Radioaktivität abgeklungen ist. Doch weltweit beißen sich die Experten am ungelösten Atommüllproblem die Zähne aus. Zu besonders kläglichen Resultaten haben die bisherigen deutschen Versuche geführt, zumindest schwach- und mittelaktiven Müll in ehemaligen Salzbergwerken, im Schacht Asse II bei Wolfenbüttel und im sachsen-anhaltinischen Morsleben, sicher unter die Erde zu bringen.

Auf dem Höhenzug Asse nahe dem niedersächsischen Wolfenbüttel nahm der Bund noch vor dem Inkrafttreten des Atomgesetzes im Jahre 1967 ein Versuchsendlager für schwach- und mittelaktive Abfälle in Betrieb. In dem stillgelegten Steinsalzbergwerk wurden bis 1978 124.000 Fässer mit schwachaktivem und 1.300 Behälter mit mittelaktivem Müll eingelagert, die insgesamt etwa 25 Kilogramm Plutonium enthalten.

Bis 1992 fanden in dem Bergwerk noch wissenschaftliche Versuche zum Verhalten von hochradioaktivem Müll in Salz statt, seit 1995 wird es langsam mit Abraumsalz gefüllt, das von einem ehemaligen Kalischacht bei Hannover herantransportiert wird. In die Hohlräume des Bergwerks, für dessen Betrieb und nun laufende Stilllegung es nie ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren gegeben hat, werden täglich 1.000 Tonnen Salz geleitet. Die Stilllegung, die noch bis zum Jahre 2015 dauern soll, ist allerdings ein Wettlauf mit der Zeit.

Schon seit Anfang der 90er Jahre ist die Grube Asse II nicht mehr dicht. Zehn Kubikmeter gesättigte Salzlauge fließen pro Tag über eine Verbindung zum Grundwasser neben dem Salzstock in den Schacht hinein. Große Teile des Bergwerks dürfen aus Sicherheitsgründen nicht mehr betreten werden, weil immer mehr Teile des Schachtes zusammenbrechen. Von den sogenannten Salzschweben, den Salzpartien, die beim Bergwerksbetrieb als Decke oder Boden von Abbaukammern stehen gelassen wurden, sind inzwischen 25 durchgebrochen. Die Einbrüche betreffen inzwischen ein Drittel der noch nicht verfüllten ehemaligen Abbaukammern.

Für stabil hält das niedersächsische Umweltministerium allerdings noch die horizontalen Salzpfeiler, auf denen das Gebirge über der Schachtanlage ruht. Ein Versagen dieser Stützen hätte auch einen großen Wassereinbruch zur Folge, der nach und nach auch das radioaktive Inventar des glorreichen Versuchsendlagers in die Umgebung schwemmen würde.

Ein gleicher Wettlauf mit der Zeit droht dem zweiten bundesdeutschen Endlager, das die DDR 1978 in Grenznähe in dem ehemaligen Doppelsalzbergwerk Bartensleben-Marie unter dem Namen Endlager Morsleben in Betrieb nahm. Dort lagern heute 14.400 Kubikmeter schwach- und mittelaktive Abfälle aus DDR-Zeiten, zudem 6.100 hochaktive Kobaltquellen und 22.300 Kubikmeter Abfälle aus bundesdeutscher Zeit. Auch in dieses Bergwerk tritt bereits aus der Umgebung stammende Salzlauge ein, allerdings in dem nicht als Endlager genutzten Teil.

Ein Gutachten der hannoverschen Gruppe Ökologie sprach der Schachtanlage, in der seit einem Jahr kein Atommüll mehr eingelagert wird, schon 1993 die langfristige Standsicherheit ab. Jetzt müssen in dem Endlagerbau aus Sicherheitsgründen vorsorglich Hohlräume verfüllt werden. Ein Stilllegungskonzept, das langfristig die Sicherheit des Endlagers garantieren würde, gibt es allerdings bis heute nicht.