Mit Rambo durch Afrika

■ Neu im Kino: Moussa Touré hat mit „TGV Express“ ein wunderschönes Road Movie inszeniert

Stellen Sie sich vor, jemand nennt sein klappriges Moped „Ferrari“! So ähnlich ist es in der francophonen Welt, wenn ein alter Reisebus, der sich mit Müh und Not über steinige Pisten schleppt, nach dem Hochgeschwindigkeitszug „TGV“ benannt wird. Da wundert es dann schon keinen mehr, wenn der senegalesische Fahrer dieses Niedriggeschwindigkeitsbusses „Rambo“ genannt wird und er seinen potentiellen Kunden auf dem Busbahnhof von Dakar verspricht, sie so schnell wie nur möglich nach Conakry an die Grenze von Guinea zu bringen. Dass der Stamm der Bassari, durch deren Gebiet die Reise geht, gerade einen Aufstand plant, kümmert ihn nicht weiter. Und so fährt er mit einem Dutzend Passagieren in eines der schönsten Road Movies der letzten Zeit hinein.

Die Struktur für seinen Film hat der senegalesische Regisseur Moussa Touré entweder (wie viele seiner Kollegen) von dem alten John Ford Klassiker „Stagecoach“ abgeguckt (Touré nannten sich einmal „eines seiner Kinder“), oder aber direkt bei dem französischen Klassiker Guy de Maupassant, auf dessen „Boule de Suif“ wiederum Fords Western basiert. Eine möglichst exzentrische Schar von Passagieren fährt dort mit einer Kutsche durch feindliches Gebiet; es passieren viele Abenteuer, und die Reisenden kommen sich trotz ihrer großen Gegensätze im Laufe der Fahrt näher.

Statt der Pferdekutsche ist es heute ein sogenanntes „Car Rapide“. Aber ansonsten geht es bei Touré genauso hoch her wie bei seinen Vorgängern. Das Schöne daran ist, dass sich der senegalesische Filmemacher nicht auf die gängigen Genreklischees zurückzieht. Stattdessen stammen die Gefahren auf dem Weg, die Konflikte zwischen den Reisenden und die nicht unerhebliche Situationskomik des Films offensichtlich aus dem tatsächlichen Leben im Senegal von heute, das Touré mit einem genauen, satirischen Blick analysiert.

Da gibt es einen Minister in Nöten, der die ganze Fahrt durch den Busch lang die Krawatte nicht lockert. Zwei Medizinmänner führen einen Wettstreit der Zauberkräfte, bis der herbeigerufene Regen den Bus im Schlamm stecken lässt. Und schließlich wird mitten in der Wildnis ein Paar französischer Ethnologen aufgelesen, das glaubt, dem Busfahrer den Weg zeigen zu müssen, weil es sich durch seine Forschungen in der Geschichte des Landes vor 300 Jahren gut auskennt.

Auf ihre Kosten werden die meisten Witze gerissen, aber auch der Politiker, seine feine Frau und die puritanischen Marabouts bekommen ihr Fett ab. Natürlich ist Rambo (bei Ford hieß John Waynes Filmfigur „Ringo“!) der Held der Geschichte, aber einige der schönsten Szenen bekommen die mitreisenden Frauen. Bei einem Nachtlager hocken sie etwa zusammen und machen sich über die Männer lustig. Einer kommt, um ihnen etwas Wasser zu bringen, und sie ziehen ihn so gründlich, komisch und gleichzeitig zärtlich auf, dass „man“ als Zuschauer sich unwillkürlich selber ein wenig in seiner Ehre getroffen fühlt. Der Film hat einige solche Momente, in denen Touré sich als ein äußerst geschickter Erzähler entpuppt.

Die Natur wirkt in in „TGV-Express“ nicht so aufgeräumt und rein wie in den meisten anderen Filmen aus Afrika. Touré scheint ihre grandiose Weite eher beiläufig, wie aus den Augenwinkeln fotografiert zu haben. Wenn man selber reist, sieht man ja auch nicht in jeder Minute eine Bilderbuchlandschaft – der Staub, der Matsch und die Schlaglöcher in der Straße sind oft eindrucksvoller als ein Sonnenuntergang. Und weil Touré zeigt, wie mühsam die Autofahrt ist (einmal müssen sogar alle Passagiere den Bus ins nächste dorf schieben), bekommt man ein sehr intensives Gefühl für Raum und Zeit.

Wie in den besten Road Movies glaubt man, bei diesem Film ein klein wenig mitzureisen. Und trotz aller Pannen ist der „TGV“ dann doch viel zu schnell, denn man würde nach den 90 Filmminuten gerne noch ein wenig länger bei Rambo mitfahren.

Wilfried Hippen

„TGV Express“ wird ab heute im Kino 46 in der Originalfassung mit Untertiteln gezeigt und ist bis Dienstag jeweils um 20.30 Uhr zu sehen