Willi Lemke: Umdenken erforderlich

■ „Stundenplan mit Minus-Stunden?“ Bildungssenator Lemke von der SPD widerspricht / „Ich bin ja ein typischer 68er“

taz : Sie haben zu Beginn ihrer Amtszeit die Soll-Stunden-Zahlen für die Schulen gesenkt und jetzt hat ihre Behörde festgestellt, dass die Lehrkräfte nicht ausreichen, wenigstens die so verminderten Soll-Stunden-Zahlen abzudecken.

Willi Lemke, Bildungssenator: Sie müssen das ganz anders sehen. Jede Schule hat Unterricht zu geben. Jede Schule hat die Lehrerstunden-Zahlen, die sie für ihren Unterricht braucht, bei weitem bekommen. Und zusätzlich zu den Unterrichtsstunden, die sie geben müssen, bekommt jede Schule on top Stunden „vergütet“ für Verwaltung, für Fortbildung, für Unterrichtsforschung, für sozialintegrative Maßnahmen, für Ausländer-Sprachunterricht. Eine Schule, die den Anspruch auf 300 Lehrerstunden hat, bekommt von uns, weil wir das in den letzten 20, 30 Jahren immer drauf gehauen haben, weil es uns gut ging, 400 Stunden. Zum Beispiel. Wenn Sie jetzt über Sollstunden reden, reden Sie über 400.

Ich lese ja nur, was in der vertraulichen Liste Ihrer Behörde steht (vgl. taz 1.9.). Da steht: Sollstunden 400, verfügbar 380.

Das ist eine für außen stehende missverständliche Darstellung in diesem Papier aus meiner Behörde. Ich sage dem Vater, der seine Kinder an der Schule hat: Der Unterricht ist absolut sicher gestellt. Die Schule bekommt weitaus mehr Stunden als sie für Unterricht braucht. Im Bereich der Lehrerstunden für Leitung und Entwicklung haben wir behutsam etwas gekürzt. Auch bei den „UFo“-Stunden, das ist unterstützte Fortbildung. Ich biete kostenlos Fortbildung an, aber das sollen Lehrer wie andere Arbeitnehmer in ihrer unterrichtsfreien Zeit machen.

Aber völlig falsch ist die Behauptung, wir hätten bei den Stunden, die für die besondere Betreuung von behinderten Kindern in den Regelklassen angesetzt waren, gekürzt. Wir haben gesagt: Die Schule bekommt Geld statt Stellen. Die Schulen sollen in ihrer Autonomie gestärkt werden und können die Betreuungs-Leistung einkaufen. Das werden wir auch im Bereich der „vollen Halbtags-Schule“ machen. Und wieso soll sich eine Schule nicht stundenweise eine Spanierin engagieren, die kein Staatsexamen hat, aber bei der die Kinder außerhalb des regulären Unterrichtes die Sprache lernen können? Da ist nichts gestrichen worden. Im Bereich Leitung und Entwicklung, da haben wir Lehrer-Freistunden gekürzt.

Muss man nicht, wenn man die Autonomie und den Leistungswillen der Schulen stärken will, die Schulleitung auch dafür ausstatten? Sie schwächen die Schulleitungen und sagen Autonomie.

Für die Schulverwaltung muss ich kein Staatsexamen haben.

Aber die Schulen haben keinen hauptamtlichen Geschäftsführer, der kompetenter wäre für die Verwaltungsarbeit als ein Rektor mit Hauptfach Religion.

Wir brauchen so etwas wie einen Schulassistenten, einen kleinen Geschäftsführer, der den Bus bestellt und Ansprechpartner ist.

Aber die Schulen bekommen von der Behörde keine Stelle für einen Geschäftsführer.

Da ist ein Umdenken dringend erforderlich.

Das Bildungssystem, das Sie jetzt neu kennenlernen, ist seit 20 Jahren von Sozialdemokraten als Reformprojekt gestaltet worden. Wurden Weichen falsch gestellt?

Ich kann Ihnen nach sieben Wochen Crash-Kurs nur eine erste Analyse geben. Ein Fehler, dass wir alles reglementieren wollen. Wir finden für alles sieben Vorschriften. Wir werden in Deutschland erdrückt von Gesetzen, Vorschriften.

Das ist kein spezifisch sozialdemokratisches Erbe.

Vielleicht ist es ein sozialdemokratisches Problem, daß wir den Begriff der Leistung negativ gesehen haben. Auch ich stand früher – ich bin ja ein typischer 68er – der Leistung sehr skeptisch gegenüber, obwohl es in meinem Leben immer um Leistung gegangen ist. Auch als Geschäftsführer der SPD zwischen 1975 und 1981 ging es fünf Mal für mich darum, die absolute Mehrheit zu holen. Gleichzeitig habe ich damals zugestimmt, wenn gesagt wurde: Man muß den Leistungsdruck zurücknehmen, viel wichtiger ist Spaß, Kuschelpädagogik. Ich sage heute als Vater von vier Kindern und als Bildungssenator: Wir müssen den Begriff der Leistung an der Schule positiv sehen. Wir müssen den Lehrerinnen und Lehrern Ziele setzen und uns nach vier Jahren, wenn es sich um die Grundschule handelt, anschauen, wie diese Ziele auch erbracht worden sind. Fragen: K.W.