Lidokino
: Weil Mühsal mieft

■ Kann man ein Festival neu erfinden? Venedig setzt in diesem Jahr auf glamouröse Liebespaare und weniger italienische Filme

In sieben Tagen werden Sie den Film, der gestern die 56. Filmfestspiele von Venedig eröffnete, dann auch schon gesehen haben: Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“. Ein sehr schöner Film, der trotz der viel beschworenen Orgie nicht von Sex und Erotik handelt. Was selbstverständlich ausgerechnet die Orgie zeigt, die man nun in Venedig – anders als in Amerika – unzensiert sah: Da vergnügt sich eine geheimbündlerische Männergesellschaft mit den denkbar schönsten gekauften Frauen. Mehr ist es nicht. Schon der Begriff Orgie ist also falsch. Und so erinnert der Abend im Landschloss dann auch allzu sehr an Helmut Newton. Das könnte man als einen gewissen Absturz interpretieren. Dafür gibt es Tom Cruise und Nicole Kidman hier in echt. Na ja, irgendetwas muss unsereins ja davon haben, dass man sich den Stress antut, 12,6 Filme am Tag zu sehen. So groß ist nämlich das Programm: in zehn Tagen 126 Filme in nicht weniger als sechs Sektionen.

18 davon laufen im Wettbewerb. Außer Konkurrenz wird Woody Allens „Sweet and Lowdown“ mit Uma Thurman und Sean Penn in den Hauptrollen gezeigt. Penn wollte Allen übrigens während der Dreharbeiten davonlaufen. Als er dann bemerkte, dass ihn seine Flucht allzu teuer zu stehen käme, musste er von dem Einfall wieder Abstand nehmen. Wie so oft im Leben kann man eben die besten Ideen nicht verwirklichen. Nun ja, wir wollen hier nicht präjudizieren. Schlusspunkt wird immerhin Martin Scorseses „Il dolce cinema“ sein.

Was aber macht die Süße des Kinos aus? Geld. Sagt der CDU-Vorsitzende Schäuble und forderte am Wochenende, von heftigem IFA-Fieber geplagt, das „Zukunftsmodell Film“. Diese Forderung ist natürlich gegen Michael Naumann und dessen „Bündnis für den Film“ gerichtet. Und seien Sie ehrlich: Zukunftsmodell Film klingt einfach viel besser als Bündnis für den Film. Letzteres mieft nach Mühsal, Länderegoismen und Funktionären. Ersteres betört mit windschnittigem Sound das massenhaft vorhandene und heftig mit den Hufen scharrende deutsche Kapital. Das, so hat Wolfgang Schäuble herausgefunden, sucht nämlich „nach attrativen Anlageformen wie noch nie“. Vielleicht sollten die Investoren in Orgien investieren, um der Langeweile des Geldes zu entfliehen. Aber diese Kreise sprechen ja gerne von family values. Fällt mir Antonio Banderas ein, der seine Ehefrau Melanie Griffith als Kapital in seinen Regie-Erstling „Crazy in Alabama“ einbrachte. Auch dieses schöne Paar ist in Venedig.

Was beweist: Venedig setzt – Überraschung, Überraschung – auch dieses Jahr auf Glamour, Stars und Hollywood. Letztes Jahr hat das nicht sooo gut geklappt. „Zu viele Stars, zu wenige gute Filme“, hatten die Kritiker erst moniert. Dann war der Direktor Felice Laudadio zurückgetreten. Freilich nicht bevor er den Wettbewerb, dessen Abschaffung er forderte, als „dumm und arrogant“ beschimpft hatte. Nun gibt es einen neuen Festivaldirektor. Alberto Barbera, der meint: „Die Festivals sind alt geworden, wir müssen sie neu erfinden.“

Löblich scheint jedenfalls seine Zurückhaltung hinsichtlich italienischer Produktionen, lediglich zwei Wettbewerbsbeiträge kommen aus dem eigenen Land. Letztes Jahr waren es wenigstens acht, und wenigstens acht davon waren nicht besonders erfreulich. Vier Filme stammen aus Frankreich, und in einem einzigen Wettbewerbsfilm ist sogar Deutsch die Arbeitssprache. Es handelt sich um „Nordrand“ der österreichischen Nachwuchsregisseurin Barbara Albert. Wir werden das checken, wie sich Deutsch so macht im internationalen Verbund. Brigitte Werneburg