: Reden über Sex und vor dem Sex
■ Weil alle Wege doch gleich verlockend sind: In Bruno Podalydès' „Dieu seul me voit“ hat ein Mann mit seinem Mikro und mindestens drei begehrenswerten Frauen zu kämpfen
Warum wird jemand Journalist? Natürlich weil er Frauen kennen lernen will. Das Mikrofon des Reporters ist die Eintrittskarte in die Welt. Mit einem Mikro kann man jeden und jede auf der Straße anquatschen (eine prima Erfahrung, finde ich). Merkwürdig ist nur: Man verirrt sich leicht in der Masse der geknüpften Kontakte. Man verliert die Orientierung zwischen all den lächelnden Gesichtern und Arschlöchern, die man kennen gelernt hat. Abends ist der Kopf voller Fotos, aber man ist allein.
Albert leiht sich manchmal den großen wuseligen Mikrogalgen (der, der nie im Bild sein darf) seines Fernsehteams, um damit spazieren zu gehen. Zu Beginn des Films sehen wir ihn an einer Straßenkreuzung mit Ampel. Eine interessante Frau erscheint. Sofort stellen sich existenzielle Fragen. In welche Richtung gehe ich, gehe ich bei Rot oder Grün, quer über die Kreuzung (besonders erotisch), in welche Richtung läuft die Frau, und sollte ich nicht vielleicht noch beim Bäcker vorbeischauen, der in der Straße ist, in die sie läuft.
Alberts Problem ist durchaus nicht, jemanden kennen zu lernen. Das passiert ständig, zum Beispiel beim Blutspenden. Sein Problem ist: Was tue ich auf dem Sofa, wenn die Frau sagt, sie mag es, so und so geküsst zu werden. Albert küsst sie dann nicht, sondern hibbelt unruhig mit den verknoteten Beinen. Außerdem dreht Erotik ihm den Magen um. Er weiß, dass es sehr sexy sein kann, vor dem Sex über Sex zu reden. Nur wird ihm bei Benennung bestimmter Situationen oder Körperteile sofort schlecht.
Als er mit einer der drei Frauen, mit denen er gerade anbandelt, im Restaurant sitzt, hat er sogar den Mut, ihr ein Glas Rotwein ins Gesicht zu schütten – was sie so anmacht, dass auch sie ihm etwas ins Gesicht kippt. Kellner und zuschauende Gäste sind aber vor allem empört, dass Albert ständig, nicht nur bei Berührungen der Fingerspitzen, zum Klo muss, kotzen.
Immer wenn's drauf ankommt, ist Albert nicht hundert Prozent synchron mit den Situationen. In dem Moment hätte ich sie küssen sollen, sagt er sich später auf der Straße. Und im Auto erzählt er sich selbst Witze, die er später bei einer Party erzählen könnte.
Sehr, sehr charmant und unaufdringlich erzählt Regisseur Bruno Podalydès die Geschichte des Mannes, der ein großes Kind ist. Auf den Kreuzungen des Lebens kann er sich einfach nicht entscheiden. Alle Wege sind doch so verlockend. Die ewige Adoleszenz macht ihn für Frauen attraktiv und gleichzeitig, tja, teilweise unbrauchbar. Podalydès lässt seinen nervösen Frauenhelden den Alltag durchleben wie ein Schiff, bei dem sich mindestens zwei Kapitäne am Ruder streiten. „Bieg hier ab und park doch einfach da vor dem Auto“, sagt seine Begleiterin, als sie zu einer Party in der Stadt fahren. Aber da ist ein Fußgängerüberweg, und man blockiert an dieser Stelle alle anderen, die dann unglücklich werden. Der Frau ist das natürlich egal. Albert lässt sie raus, kurvt weiter und parkt dann doch hier. Später auf der Fete lernt er die Leute kennen, die er zugeparkt und denen er dann plötzlich auch noch die Luft aus den Reifen gelassen hat. Deshalb muss er sie auch später nach Hause bringen. Ein liebenswerter Film über die Liebe und ein Leben ohne sichtbare Richtung. Andreas Becker ‚/B‘„Dieu seul me voit (Versailles-Chantiers)“. Regie: Bruno Podalydès. Mit Denis Podalydès, Cecile Bouillot u. a., Frankreich 1999, 120 min
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