Sommerschlussverkauf für das Netz

■  Auf der IFA in Berlin wurde die nächste Runde im Preiskampf der Internetprovider eingeläutet. Auch Sony und die Viag machen mit. Bei ihnen soll der Zugang zum Internet gar nichts mehr kosten – auch der Ärger ist inklusive

Was kostet das Internet? Nach den Regeln des freien Marktes könnten die Zeiten für das private Surfen kaum besser sein. Die beiden Marktführer für den Zugang zum Internet in Deutschland liefern sich einen Preiskrieg. AOL – in Europa mit Bertelsmann liiert – hat passend zur Internationalen Funkausstellung in Berlin angekündigt, die Gebühren zum ersten Oktober drastisch senken zu wollen. Feste 9,90 Mark im Monat soll das Abonnement dann kosten – der bislang übliche Minutentakt entfällt. Unverkennbar ein Kaufhauspreis, wenn die Leitung aber erst einmal offen steht, beginnt der alte Kampf gegen den Gebührenzähler von neuem. Der Festpreis ist keineswegs Pauschale für den Netzzugang. Inbegriffen ist nur, dass AOL mit der Telekom die jeweils auflaufenden Telefongebühren des gemeinsamen Kunden abrechnet. Unabhängig von den diversen Sonderangeboten der alten Bundespost will AOL dafür 3,9 Pfennig die Minute kassieren, zuzüglich einer jeweils einmal erhobenen Einwahlgebühr von 6 Pfennig.

Dieser groteske, mit keiner einzigen erkennbaren Gegenleistung verbundene Preisanteil bestraft just jene besonders Kostenbewussten, die ihre Leitung immer nur dann hochfahren, wenn sie sie wirklich brauchen. Dennoch, so hat AOL ausgerechnet, sei dieses Angebot bis zu 46 Prozent billiger als das Surfen mit der Hauptkonkurrenz T-Online, dem Onlinedienst der Telekom. Die ließ sich das nicht lange sagen. Kaum war die neue Runde eröffnet, konterte der Telekom-Vorständler Detlev Buchal seinerseits mit einer „Preisoffensive“. Man werde auf die 49 Mark für 20 Stunden Surfen zurückkommen, mit denen sein Unternehmen in diesem Frühjahr den Weg ins Netz ebnen wollte, drohte der Manager auf der Funkausstellung. Er ist immer noch sauer. Denn ausgerechnet AOL habe diesen Preisschnitt per Gericht verbieten lassen, grollte Buchal, wohl wissend, dass der von AOL tatsächlich erhobene Vorwurf des Dumpings nicht die Höhe des Endpreises betraf, sondern die Mischkalkulation der Telekom, die sich für ihr Kampfangebot an die Netzgemeinde mal eben eine sagenhafte Senkung ihrer eigenen Telefongebühren genehmigt hatte – die 49 Mark der T-Online sollten auch schon die Kosten des Ortsgesprächs enthalten.

An der gerichtlich verfügten Forderung nach Preistransparenz wird die Telekom aber auch in Zukunft nicht vorbeikommen. Denn nicht nur die Branchenführer, auch kleinere Zugangsprovider wollen mit immer niedrigeren Preisen ihren Platz auf dem Markt behaupten. Sie sind darauf angewiesen, dass wenigstens die reinen Telefonkosten halbwegs realistisch kalkuliert sind, vor allem dann, wenn sie ihren Kunden ebenfalls anbieten, die Gebühr für den Anruf beim Server gleich mit zu übernehmen. 4,89 Mark die Stunde alles inklusive lautete Anfang dieser Woche das mutmaßlich niedrigste Angebot dieser Art, das von einer Hamburger Firma stammt.

Dass auch dieser Preis unterboten wird, ist nur eine Frage der Zeit. Die privaten Kleinsurfer müssen bei diesem Wettlauf keineswegs immer gewinnen. Die Laufzeiten von Verträgen, Einrichtungskosten und Taktzeiten in den Fällen, in denen der Provider keine Pauschale anbietet, wollen beachtet und mit den Leistungen verglichen werden. Das vor allem ist Einsteigern kaum möglich. Sie sind beinahe ausschließlich auf die Angaben von Verkäufern angewiesen, die alle Hemmungen fallen lassen. Selbst Autohändler müssen damit rechnen, dass ihre Kunden ungefähr wissen, was ein Zylinder und eine Bremse ist. Internetverkäufer dagegen haben ahnungslose, aber dennoch hochgradig kaufwillige Laien vor sich, denen sie gefahrlos vollkommen sinnlose und überflüssige Zutaten andrehen können. Da ist schön netzdeutsch vom „freien Download“ irgendwelcher „Clients“ die Rede, oder von den „Tools“ für die eigene Homepage auf den mindestens „10 MB“ Speicherplatz, die alle in dem Preis inbegriffen seien.

Wer es nach einigen teuren Anrufen bei der Hotline schließlich geschafft hat, zum ersten Mal ins Internet aufzubrechen, wird schnell feststellen, dass die angeblichen Sonderleistungen seines Providers entweder blanke Selbstverständlichkeiten oder entbehrlich sind. Die eigene Homepage zumal kann warten, und wer sie später wirklich braucht, bekommt den Platz überall für wenig Geld. Der Vertrag kann jedoch oft nicht ohne weiteres gekündigt werden, selbst dann nicht, wenn die Einwahl nur selten gelingt, weil der Zugangsrechner viel zu schwach ausgelegt ist oder die rückwärtigen Verbindungen zum nächsten Knoten mangelhaft sind.

Im Notfall gerichtsfeste, einklagbare Qualitätsvergleiche sind – auch das kommt den Netzkrämern zugute – nur begrenzt möglich. Derart gut geschützt vor sachkundigen Nachfragen trauen sich inzwischen auch sehr renommierte Unternehmen auf den grauen Markt der leeren Versprechungen. Rekordverdächtig in dieser Hinsicht ist die „FriendFactory“, ein Gemeinschaftsunternehmen von Sony Europe und der deutschen Viag. Zum Auftakt der IFA verkündete die im Mai gegründete Tochter, dass sie den ganzen Preiswirrwarr mit einem glatten Nulltarif ein für alle Mal beenden werde. „NetAccess“ heißt die spezielle Dienstleistung der kombinierten Konzerne. Sie besteht darin, dass die Viag Anrufe aus innerdeutschen Ortsnetzen an die für Sony konfigurierten Rechner umleitet. Damit werden lediglich die Telefongebühren für die Telekom (oder irgendeinen anderen lokalen Telefonanbieter) fällig, die weitere Reise der Daten im Internet soll den Kunden danach keinen einzigen Pfennig kosten.

Ein Killerangebot offenbar weniger gegen AOL und T-Online, sondern gegen die kleineren Provider. Doch 30 bis 50 Mark, die ein seriöser Pauschalzugang ohne Telefongebühren dort monatlich kostet, sind weiterhin gut investiert. Wer sie mit der FriendFactory einsparen will, handelt sich einen ganzen Berg von Hindernissen auf dem Weg ins Netz ein. Einen guten Teil steuert die Viag bei – von Berlin aus gelang es auch nach fünf Tagen nicht, den Sony-Recher auf diesem Weg zu erreichen. Den Rest besorgt Sony selbst. Wer „www.friendfactory.de“, was durchaus möglich ist, über einen anderen, keineswegs kostenlosen Provider ansteuert, steht vor einer Website, die sich auf den ersten Blick nicht von vergleichbaren unterscheidet. Die FriendFactory will – unübersetzbar aus dem Englischen – eine „Community“ sein und bietet allerlei Foren, Chat-Räume, einen Mail-Server und eine von Sony eigens programmierte „Instant-Messaging“-Funktion an, mit der sich die Mitglieder der Community Nachrichten auf den Bildschirm schicken können, solange sie gleichzeitig online sind.

AOL hat diese Technik in den USA mit ihren vergleichsweise niedrigen Telefonkosten populär gemacht. Microsoft zog nach und streitet sich mit AOL um den Standard. Von alledem unterscheidet sich das Modell von Sony dadurch, dass es jeden Prozessor unter 500 Megahertz Taktfrequenz lahmlegt. Auch wer bloß die Foren der FriendFactory besuchen will, muss ein Java-Zusatzprogramm installieren. Es braucht allein Minuten, um zu starten – Minuten, die bares Telefongeld kosten. Danach leistet es eher schlecht als recht, was jede beliebige Forumssoftware oder eine gute alte Newsgroup mit einem Bruchteil an Aufwand leisten: Man kann Diskussionsbeiträge zu verschiedenen Themen lesen und selbstschreiben.

Auch ein Forum zur Hilfe beim Umgang mit dieser Missgeburt ist eingerichtet. Dort aber offenbart sich vollends, wie sehr auch Sony und Viag in diesem neuen Markt versuchen ihre heute noch gutgläubigen Kunden zu täuschen. Das Forum enthält ein gutes Dutzend teilweise herber Klagen von durchaus allgemeinem Interesse für die junge Gemeinde. Aber keine einzige ist bisher beantwortet worden, wenigstens nicht im Forum selbst, weder von einem Mitglied der Community noch gar von einem Mitarbeiter von Sony. So ganz umsonst ist das Internet wohl doch nicht zu haben.

Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de