Bombenexplosion im Spielsalon Dinamit

■ Bei einem Anschlag in einer Moskauer Einkaufspassage werden 41 Personen verletzt. Trotz Bekennerschreibens „konsumfeindlicher Schriftsteller“ tappt die Polizei im Dunkeln

Moskau (taz) – Die Luxusläden und Restaurants der drei Stockwerke unter den Moskauer Manege-Platz reichenden Passage, direkt neben dem Kreml, waren eines von Oberbürgermeister Juri Luschkows Lieblingsprojekten. Sie sollten demonstrieren, dass Moskau es mit jeder westlichen Metropole aufnehmen kann. Mit der Explosion von 150 Gramm Trinitrotoluol hier am Dienstagabend hat sich nun erwiesen: Russlands Hauptstadt ist immer noch ein Pflaster für sich.

Die Zeitbombe zündete um 20 Uhr abends im dritten Untergeschoss des Einkaufszentrums, und zwar in einem Spielsalon für Kinder und Jugendliche mit dem beziehungsreichen Namen „Dinamit“. Am Vorabend des 1. September, des ersten Schultages, waren alle Geschäfte voller berufstätiger Eltern. Gruppen von Jugendlichen feierten im Zentrum den Abschied vom Sommer.

Die Szenen nach der Explosion erinnerten an einen Horrorfilm. Ein Hagel von messerscharfen Glas- und Plastiksplittern peitschte die Anwesenden in der plötzlichen Dunkelheit. In Panik trampelten viele Besucher des Zentrums einander nieder, andere blieben heroisch am Ort und leisteten Erste Hilfe. An manchen Opfern hingen große, mit der Kleidung verschmolzene verbrannte Hautfetzen herab, anderen hatten die Splitter die Augen zerschnitten. Alle wurden zügig in die Krankenhäuser transportiert. Die gestrige Bilanz ergab: 41 Verwundete, unter ihnen neun Schwerverletzte. Todesfälle gab es bisher nicht.

Größter Popularität bei Journalisten und Zeugen erfreuten sich anfangs zwei Erklärungen: dass es sich hier um die Auswirkung eines Konkurrenzkampfes zwischen Mafiagruppen handele oder um einen Akt der am Krieg in Dagestan beteiligten islamistischen Gruppen. Am selben Tage hatte der tschetschenische Feldkommandeur Schamil Bassajew in Grosny erklärt: „Wir werden den Djihad nicht einstellen, und wenn die ganze Welt in blauen Flammen lodert.“

Gestern gab allerdings die Polizei bekannt, man habe am Tatort ein Flugblatt von einem gewissen „Verband der revolutionären Schriftsteller“ gefunden. Darin steht unter anderem die Losung: „Ihr Herrschaften Verbraucher, eure Lebensweise gefällt uns nicht und ist für euch nicht ungefährlich!“ Als Haupt der „revolutionären Schriftsteller“ stellt sich im Internet – mit Foto – ein gewisser Dmitri Pimenow vor.

Nach einer Telefonaktion des Fernsehsenders NTV äußerten etwa die Hälfte von 4.000 befragten MoskauerInnen, dass sie nach dem Anschlag „mehr Angst in der Öffentlichkeit“ verspürten als vorher.

Die Spielhalle war vor allem bei Müttern beliebt gewesen, die dort ihre Sprösslinge bei Stadtbummeln für längere Zeit zwischenparken konnten. „Mit dem sorglosen Einkaufen ist es jetzt für mich vorbei“, sagte Tatjana, eine alleinstehende Mutter, die bei den Automaten oft ihre neunjährige Tochter Natascha gelassen hatte.

Barbara Kerneck