Alles über den Kauf wird erzählt

■ Internet-Versandhändler Amazon.com macht öffentlich, wer was bei ihm bestellt. Empörung bei Usern und Buchhändlern

Washington/Berlin (dpa/taz) – Ganz neue Möglichkeiten bietet der Einkauf per Internet – so neu, dass selbst gewiefte Online-Kunden oft noch überrascht sind. Ein Sahnehäubchen in Sachen Brave new world liefert derzeit das größte Internetversandhaus der Welt, Amazon.com aus Seattle. Millionen User, die bei Amazon Bücher bestellen, können nämlich seit einigen Tagen in Hitlisten lesen, wer was häufig liest. Bei DaimlerChrysler stehen ganz oben – was Wunder nach der jüngsten Fusion – „The German Way: Verhalten und Gebräuche im deutschsprachigen Raum“. Und die Beschäftigen des Halbleiterproduzenten National Semiconductors vergnügen sich am meisten mit „101 Nights of Grrreat Sex“.

Das Unternehmen hat mit dieser neuen Form der Datenausbeutung gleichzeitig eine neue Debatte über Datenschutz im Internet ausgelöst. Mit Hilfe einer ausgeklügelten Software können die Amazon-Computer in Seattle Bestsellerlisten für bestimmte Regionen, aber eben auch für große Unternehmen oder Universitäten herausfiltern.

Seit das Unternehmen die so ausgewerteten Bestelldaten seiner 10 Millionen Kunden nicht nur für eigene Marketingzwecke nutzt, sondern sie auf seiner Website für jeden Internetnutzer zugänglich macht, ist die Aufregung in den USA groß. „Das ist empörend“, befand eine Sprecherin der amerikanischen Buchhändlervereinigung. „Es ist, als ob 1984 begonnen hätte. Was Leute lesen, darüber denken, die Ideen, mit denen sie sich beschäftigen, sollte völlig vertraulich sein.“

Amazon.com veröffentlicht allerdings keine personenbezogenen Daten, obwohl die Computer auch diese parat haben. Das Unternehmen stuft das neue Angebot hauptsächlich als „Spaß“ und Hilfe bei Kaufentscheidungen ein, meint Amazon-Sprecher Paul Capelli.

Branchenbeobachter sehen mit dem Amazon.com-Vorstoß eine neue Stufe der Datenausbeutung im Internet erreicht. Wie die meisten Internetunternehmen macht die Firma mit seinen eigentlichen Produkten keinen Gewinn – der Verlust von Amazon betrug im ersten Halbjahr 1999 sogar 200 Millionen Dollar. Trotzdem ist der Versender ein Börsenstar, weil sich sein Umsatz innerhalb eines Jahres verdreifacht hat, so schnell gewinnt die Firma unter ihrem Chef und Gründer Jeff Bezos neue Kunden. Außerdem kauft er ständig kleinere Internetfirmen auf.

Die Strategie lautet, die gesammelten Daten so effektiv wie möglich auszuschlachten. Doch es könnte auch sein, dass dabei Grenzen erreicht werden, die von der Sorge vieler Menschen um ihre Privatsphäre gesetzt werden. Amazon habe bei nicht wenigen Kunden Ablehnung ausgelöst, sagt Donna Hoffmann, E-commerce-Expertin an der Vanderbilt-Universität.

Amazon.com reagierte schnell: Die Firma bietet ihren Kunden nun ausdrücklich an, per E-Mail die Weiterverwendung ihrer Daten auszuschließen. rem