Zwei Aliens aus der Bremer Neustadt

■ Heute zeigen zwei Bremer im Kulturzentrum Lagerhaus ihren intelligent konzipierten Science Fiction-Videofilm „137“. Der total skurrile Streifen entstand ohne Kohle und cineastische Vorkenntnisse

Die Kornstraße ist bekannt in aller Welt als Aschenputtel unter Bremens Straßen. In Wahrheit aber hat sie Kultpotential. Allerdings ein noch unentdecktes. Angefangen aber hat alles eine Ecke weiter, am Buntentorsteinweg, natürlich in einer Kneipe. Dort haben Dieter Köstens und Jens Kemper ausspintisiert, welche Geschichten man erzählen würde für den Fall, eine nette Fee käme vorbei und würde einen auf die Regiestühle von Martin Scorsese oder Robert Altman verpflanzen – „na ja, du weißt schon, wie man eben so schnackt bei einer Flasche Königspils“. Und plötzlich war ein kleiner Western geboren, natürlich ein ulkig-alberner, schließlich wusste man, dass man nichts wusste – rein gar nichts vom Drehbuchschreiben, Regiehandwerk und überhaupt. Da zückt man gerne die Trash-Karte.

Auch die Initiation zum zweiten Film war ein Wink des Zufalls. Köstens hatte ein besonderes Radioweckerlebnis. Sie wissen schon, man träumt, der Radiowecker klingelt, und alles ist ganz seltsam ... Und Kemper war es, der meinte, sowas würde sich besonders gut um 1.37 Uhr nachts machen, weil 137 für Mathematiker eine magische Zahl ist. Die Filme „23“ und „PI“, zwei andere Filme, die um Zahlen der Weltentschlüsselung kreisen, kennen Köstens und Kemper nicht. Intime Freunde des Kinos sind sie nämlich nicht. Soll schließlich auch Leute geben, die Fußball zwar nicht gucken, aber gerne spielen. Übrigens, dabei haben sich die beiden kennen gelernt, beim Doppelpass.

Aus der Laune des Wecker-Einfalls entwickelte sich eine ausgefeilte Geschichte. Es sollte um das Springen aus der Erdenwelt in eine unbekannte Traumwelt gehen. Das geht so: Ein unsichtbarer Bösewicht beauftragt ein neurologisches Institut mit dem Klau von Seelen, zum Beispiel der des sympathischen Drecksacks (heimliche Geliebte, Abwaschferkel etc.) David. Weil aber die Welt komplizierter ist als in Raumschiff Enterprise, ist die Prozedur langwieriger (Zeit für diverse Morde!) und riskanter als bei Scottys Beamen. Gar manche Seelen gingen schon beim Weltensprung verloren und wandeln als moderne Nachfahren von Odysseus in einem Niemandsland.

Diese abgeklärten „Achäer“ warnen David und helfen ihm beim Kampf um seine eigene kleine, rattenmiese, doch lernfähige Seele. Dabei sehen sie in ihrer Rüstung aus Alufolie und Sperrholz aus wie die mittelalterlichen Recken aus Monty Python's „Jabberwocky“. Auch im zweiten Film gibt es also Jux und Tollerei. Etwa wenn Derrick-Tappert und Harry Klein kurz mal vorbeischauen. Im Großen aber haben Köstens/Kemper diesmal Mut zum Ernst. Und zu jeder Menge Bildungsgut von Anaximander bis zum Faust II. Schließlich geht es um die Frage von Wirklichkeit und Illusion und um die Frage nach dem richtigen Leben. Weil es das nicht gibt, gibt es auch kein Happy end.

Als dem Duo irgendwer steckte, dass auch der neue Hollywood-Renner „Matrix“ unseren Realitätsbegriff hinterfragt, und zwar ebenfalls mittels Weckers und einer Figur namens Morpheus, ist ihnen klar: Hollywood geht auf Ideenklau bei „Tinsel Town Productions“ an der Meyerstraße. Und wo die Meyerstraße ist, ist die Kornstraße nicht weit.

Kemper/Köstens halten sich nicht lange auf mit der Suche nach den richtigen Gestalten und Locations, sondern greifen zurück auf ihren Bekanntenkreis und auf ihren Kiez, die Kirche nebenan, den eigenen Arbeitsplatz, die Wohnung von Freunden. Nicht jedes Gesicht kann man fotogen nennen. Und so ist das wahrhaft Ungewöhnliche des Films sein erzgewöhnliches Normalo-Ambiente: gelbe Küchenkacheln, Alditüte, grässlich gemusterte Bettwäsche oder ein Pilspub, dessen flüchtiger Charme nur den Stammgästen mit ihren 2-Promille-Erinnerungen ganz begreiflich ist. Kurz: Die Kornstraße ist das, was die Lindenstraße immer sein wollte.

Kemper konnte bereits Erfahrungen als Schauspieler anhäufen. Mit neun Jahren strahlte er als „Hans im Glück“ aus einer Aufführung seiner Kirchengemeinde. Diese schillernde Vergangenheit fehlt (bis auf zwei Ausnahmen) den anderen, im normalen Leben Physiotherapeut, Buchhändler, Drucker, Graphiker etc. So macht das Beobachten von darstellerischen Unpässlichkeiten – Herumnesteln an der eigenen Backe – mindestens genauso Spaß wie Geglücktes. Dito bei der Kamera. Mal blickt sie äußerst raffiniert durch eine Sessellehne hindurch auf ein Gespräch. Mal huschen mysteriöse Schatten über die Wand. Und ein frustiges Beziehungsgespräch wurde stimmungsgerecht mit absolut statischer Kamera aus melancholischer Entfernung aufgenommen. Ach so, war gar nicht beabsichtigt, ergab sich zufällig, erzählt Köstens. Der ist der Typ Mensch, der gerne von der Zurückhaltung des klassischen Bremers schwärmt. Entsprechend wenig Großaufnahmen gibt es in „137“. Wer will schon seinen Bekannten zu nahe auf die Pelle rücken?

Weil das Medienbüro im Kino 46 pro Tag 300 Märker Leihgebühr für ihre Kameras sehen will, musste man sich mit dem weniger tollen, dafür kostenlosen Equipment des Offenen Kanals bescheiden. Eine Zwei-Stunden-Einführung in die Videotechnik gab's gratis obendrein. Nun geriet man eben an den 18 Drehtagen das eine Mal an ein Teil, das Rotstich produziert, das andere Mal an eins mit Blaustich. Aber Bremen tut Farbe nur gut. Und manchmal muss man richtig nach Luft schnappen, weil dieses Bremen-Neustadt gerade in seiner Hinterhoftristesse oft traumhaft schön ist und bestens geeignet für wüste Verfolgungsfahrten. bk

Aufführung am 3.9. um 20.30 Uhr im Lagerhaus, 3. Stock

PS: Der nächste Film wird heißen: „Hoho, die Augen des Lebens“ oder „Die Augen des Lebens, hoho“.