Meilensteine aus dem Bildarchiv

Zerstückelte Revolutionshelden: Karl Marx jongliert mit seinem Hut, Fidel Castro ballt die Faust, und Nick Cave raucht eine Zigarette. Der belgische Maler Jan van Imschoot stellt in der Galerie Gebauer aus    ■ Von Harald Fricke

Dass es schon lange viel zu viele Bilder gibt, die durch die Kunstgeschichte geistern, hat Maler nie daran gehindert, noch ein paar Bilder mehr zu malen. Selbst Gemälde, die sich auf berühmte Vorgängermotive beziehen, gibt es genug, und von Jahrhundert zu Jahrhundert werden es mehr Kommentare. Der Belgier Jan van Imschoot hat seine Statements zum unentwegten Bilderfluss jetzt in einer umfänglichen Ausstellung gebündelt. Mit 23 Bildern zappt er sich durch die Ikonografie der letzten 200 Jahre, schaut kurz bei der Französischen Revolution herein, kümmert sich um die Umsturzversuche von 1848, zeichnet Fahndungsfotos von Andreas Baader nach, zerlegt Porträts von Karl Marx oder Fidel Castro und kommt zum Schluss bei den Fernsehmoderatorinnen der belgischen Privatsender „Talking on TV“ an. Selbst für Nick Cave, der auf grünem Grund eine Zigarette raucht, ist in seiner Heldensammlung noch Platz.

Natürlich ist der Versuch, die Welt in einem gemalten Paralleluniversum festzuhalten, eine ziemlich manische Angelegenheit. Zwischen lauter Verweisen, Zitaten, Anspielungen und Details kann man sich leicht verirren. Der totale Kontext passt allerdings zum Konzept, mit dem van Imschoot sich an der allgegenwärtigen Bildproduktion abarbeitet. Immerhin will er das gemalte Bild zwischen all den anderen Medien der Massenkommunikation gleichberechtigt einreihen – auch in seinem Misstrauen gegenüber dem visuellen Dauerbeschuss. Dafür ist das frühe 19. Jahrhundert als Ausgangspunkt gut gewählt: Mit dem Aufkommen von Zeitungen entstehen tagesaktuelle Abbildungen des Weltgeschehens nicht nur als Text, sondern auch in druckgrafischer Form. Fortan gibt es Gesichter zu den Ereignissen.

Das Personal auf van Imschoots Bildern ist dennoch auf einen bestimmten Bereich der Geschichte beschränkt. Das Panoptikum funktioniert wie ein Schnelldurchlauf durch die sozialistischen Utopien, Meilensteine auf dem Weg der Befreiung der Arbeiterklasse. Rote Fahnen wehen 1968, auch wenn ein „Vive l'asociale!“ als Graffiti über der Bildfläche schwebt; und gelb leuchtet Castro in gleißendem Sonnenlicht. Andererseits hat van Imschoot zahlreiche Fallen eingebaut, die statt einer Heilsgeschichte eher das Scheitern linker Ideologien thematisieren. Die Tragödie deutet sich in der Zerstückelung von Gesten an: Fast alle Gemälde zeigen die Hände der Akteure vom Körper abgetrennt, die Handlungsfähigkeit ist verloren. Karl Marx wird in drei Variationen als billiger Varietekünstler enttarnt – sein „little trick, the invention of the working class“, besteht bei van Imschoot darin, einen breitkrempigen Hut durch die Gegend zu jonglieren. Schemenhaft lächelt einem dazu aus der Tiefe des Bildes ein Arbeiter mit Mütze entgegen.

Offenbar meint van Imschoot nicht die realen geschichtlichen Verfehlungen, sondern Probleme der Darstellung. Jede Zeit interpretiert vergangene Geschehnisse auf der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen, dann wandeln sich die Bilder. So tauchen Goyas malträtierte Opfer aus dem „Desastres“-Zyklus plötzlich als Aktmodelle in einem Salon des Fin de Siècle auf, wo sie als Anschauungsmaterial für akademisch geschulte Künstler dienen. Seine Historienbilder erfinden nicht ihren Gegenstand neu, aber sie verändern dessen Rahmen. Terror wird zu Entertainment, Orientalismus zu Kitsch. Manchmal bleibt nach der Umwertung auch nur ein ironischer Verweis auf den Alltag: Der fäusteballende Castro wird mit einer ebenfalls heftig gestikulierenden Hand im Vordergrund des Bildes collagiert. Mittel- und Zeigefinger sind wie der Lauf einer Pistole ausgestreckt. In Belgien ist das Zeichen unmissverständlich: „Ich schneid dir die Eier ab!“ So hatte sich der Revolutionsführer den Guerillakampf nicht vorgestellt.

Bis 18. 9., Di – Sa 12 – 18 Uhr, Galerie Gebauer, Torstraße 220