Die Ost-West-Schleuse glitzert wieder

■  Nach vier Jahren Bauzeiten eröffnete gestern der komplett renovierte Bahnhof Friedrichstraße. Die DDR-Geschichte hat im Souterrain überlebt

Nach was riecht das hier? Nach etwas Modrigem, Öligem. Der etwa zweihundert Meter lange Gang mit der tiefen Decke führt stufenlos leicht nach oben, links und rechts als Wandverkleidung nichts als schmuddelige weiße, manchmal popelgelbe Kacheln, viele abgeplatzt. Kabel ragen aus der Wand, Neonlicht erhellt die grauen Bodenplatten: Willkommen im Bahnhof Friedrichstraße!

Nach vierjähriger Bauzeit und Investitionen von 220 Millionen Mark glänzt der traditionsreiche Verkehrsknotenpunkt in Glas und Licht – zumindest die oberen Gleise für die S- und Regionalbahnen in Ost-West-Richtung sowie die etwa 50 Geschäfte, in denen man Socken, Schuhe, Seifen und ähnlich wichtige Reiseutensilien zwischen 6 und 22 Uhr kaufen kann.

Unten aber, im Souterrain, hat die DDR überwintert: Orangene Kacheln verkleiden lückenhaft seltsame Schächte auf dem Bahnsteig, vier Holzbänke, zwei ohne Rückenlehne, stehen versteckt dahinter, eine schimmelgrüne Decke mit Neonröhren darüber, an den Wänden unentzifferbare Graffiti-Tags und kurz vor dem weiß gekachelten Übergang zur U-Bahn eine beleuchtete Ankündigungstafel hinter zerritztem Glas, installiert von der S-Bahn und der Deutschen Reichsbahn, wie zwei Logos am Rand kundtun. Wenn überhaupt, dann atmet der Bahnhof hier noch etwas Geschichte.

Dabei redet hier jeder von der Vergangenheit, die den Bahnhof zu etwas Besonderem macht: zu einem Symbol der staatlichen Trennung und der Deutschen Einheit, wie Verkehrsminister Franz Müntefering (SPD) oben auf der Glitzerebene beim Fest zur Einweihung sagt: „In den Katakomben“, erzählt er, sei er selbst zu Mauerzeiten ein dutzend Mal vom Westen in den Osten eingereist, durchgeschleust an Sperren von DDR-Uniformierten vorbei, abhängig von ihrer Willkür, beäugt von 160 Überwachungskameras, bedrückt durch kafkaeske bürokratische Schikane – „Tränenpalast“ hieß der Flachbau, in dem Westdeutsche bei der Ausreise aus der DDR „abgefertigt“ wurden.

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) erinnert an den „Schlauch“, durch den man als Westdeutscher musste, um in den Ostteil der Stadt zu kommen. „Man fühlte sich nicht wohl“, erinnert er an die Zeit der Trennung, „Aber Gott sei Dank: Die Zeit ist vorbei.“ Da klatschen die Schaulustigen, die auf einer höheren Ebene des Bahnhofs auf das Parterregeschoss schauen. Dort steht die Festbühne, hier herunter dürfen nur Politiker, Journalisten und Bahnmitarbeiter.

„Beschämend“ sei der Bahnhof Friedrichstraße zur Zeit der Teilung gewesen, erinnert sich eine 77 Jahre alte Frau mit Kopftuch. Sie steht vor einem roten Band und stämmigen Bahnwachleuten, die den Zugang zur Feiergemeinde versperren. Geboren in Königsberg, aufgewachsen im Teltow und in Berlin in die Schule gegangen, lebt sie jetzt in Gatersleben im Harz und weiß noch genau, wie das damals war, als vor der Wende einmal Freunde aus Münster hier eingereist sind: „Die waren ganz entsetzt, die wollten nicht wiederkommen.“ Und ihr Mann, „ein Urberliner“, wie sie sagt, wäre früher hier am liebsten in der S-Bahn nie ausgestiegen: „Der wollte immer in den Westen durchfahren.“

Dann ist sie nicht mehr zu verstehen, weil eine kleine Blaskapelle, alle in Uniform, Pickelhaube auf dem Köpfen, vorbeimarschiert. Die Combo scheppert zum Zelt, das neben der renovierten Nordfassade des Bahnhofs steht: Es ist reserviert für die Bahngäste, die dort Fleischhäppchen, Soljanka und Orangensaft zu sich nehmen können. Einfache Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht rein.

Zurück zum Ausgang, vorbei an „Orgel Ebi“, einem Drehorgel-Spieler mit weißer Schiebermütze, und einem Stand vom „Body Shop“. Hier kann man Düfte probieren: „Etwas Sportliches“, schlägt die junge Frau davor vor und sprüht ein wenig auf einen Unterarm. Nach was das riecht? Es riecht nach Geld. Philipp Gessler