Geh, Fremder, verschwinde.

Brandenburg vor der Wahl: Nirgends werden so viele Bündnisse geschnürt, Programme gestartet, Appelle ausgestoßen. Seinen Rechtsextremismus bekommt das Land dennoch nicht in den Griff. In dem fühlt sich die Mitte zu wohl  ■   Von Jens Rübsam (Text) und Boris Bocheinski (Fotos)

Die Botschaften, die sonntags in der Mark Brandenburg verkündet werden, sind meist hässlicher Art, ihre Überbringer tragen Uniform und schieben Dienst in Polizeipräsidien. Nicht selten lesen sich die Mitteilungen am Monatsende wie ein Protokoll des Schreckens. Da wird in Golßen, einem Kaff auf flachem Lande, Anfang August ein Konzert der Skinheadband „Sturm und Drang“ aufgelöst. Da prügeln rechte Jugendliche in Spremberg auf Linke ein. Da werden bei einem NPD-Aufmarsch in Schwedt drei Demonstranten in Gewahrsam genommen. Der eine trägt ein verbotenes Abzeichen am Revers, zwei andere zeigen sich in Uniform. Auf einem Schützenfest in Luckenwalde wird zur Monatsmitte ein indischer Asylbewerber mit „Ausländer raus!“ und „Warum seid ihr hier?“ beschimpft, angegriffen und schwer verletzt. In Wittstock werden neun Halbstarke vor einer Schule unter dem Verdacht festgenommen, „Heil Hitler!“ und „Sieg Heil!“ gebrüllt zu haben. Und erst vor wenigen Tagen spucken rechte Fußballfans in Potsdam-Babelsberg einem FDPler ins Gesicht. Doch was auch immer aus Brandenburgs Wachen sonntags verlautet und die Heimatzeitungen montags die Märker wissen lassen, zwischen Uckermark und Spreewald, Havelland und Oderland will sich fast niemand mehr so recht erschrecken.

Geh, Fremder, verschwinde. Es gibt nichts zu sagen. Schon gar nichts zur Landtagswahl am Sonntag. Erst recht nichts zu den Parteien. Überhaupt nichts zu DVU und NPD. Ist doch alles klar. Hier ist Brandenburg. Deutsches Tiefrekordland. Demonstrierte Gleichgültigkeit. Beteiligung bei der Europawahl im Juni: 30,1 Prozent. Prognosen für den kommenden Sonntag: DVU über fünf Prozent, Einzug in den Landtag. Hier ist Fürstenwalde. „Brown Town“ von Linken genannt, „Dream Town“ von Rechten. Über 5,1 Prozent durfte sich die NPD bei den Kommunalwahlen im Herbst vergangenen Jahres freuen. Seitdem hocken zwei NPDler im Stadtparlament. Einer scheint sich recht wohl auf seinem Stuhl zu fühlen. Als alle Stadtverordneten aufstehen, um Omar Ben Nouis, des in Guben zu Tode gehetzten Algeriers, für eine Minute zu gedenken, bleibt Kamerad Danilo Wilke, 27, sitzen und blättert in der Deutschen Stimme. Geh, Fremder, stell keine Fragen.

Schilder weisen den Weg nach Fürstenwalde-Nord, zur „National befreiten Zone“, wie einer von der örtlichen Antifa den Stadtteil nennt, in den sich in Gottes Namen kein Ausländer verirren sollte. Jeder Laternenmast ächzt unter Plakaten, auf denen „Volksbetrüger abwählen“ zu lesen ist. Die NPD hat ganze Arbeit geleistet, nicht umsonst. Hier wohnt und kandidiert einer der Ihren: Oliver Kucher, 22, Stahlbetonbauer, arbeitslos. Der Lokalzeitung hat er gesteckt: Es sei „sehr schlimm, was hier abgeht mit dieser Multi-Kulti-Geschichte“, die „eigene Volks-Identität“ sieht er „untergehen“ und prophezeit: „Es droht ein Bürgerkrieg auf deutschem Boden.“

Schon jetzt darf sich in Brandenburg nicht jeder sicher fühlen. Keiner der 54.330 Ausländer, die im Lande leben. In Cottbus wissen sie, dass es gefährlich ist, die Straßenbahn zu benutzen. In Dörfern wie Gollwitz und Görlsdorf stehen eingeschworene Gemeinschaften, voran die Bürgermeister, stramm, wenn es darum geht, Heime für deutschstämmige Juden oder Asylbewerber zu verhindern. Der Generalstaatsanwalt muss bekennen, dass es im Lande eine „faschistoide Gewaltbereitschaft mit Vernichtungswillen gegen Menschen gibt, die einfach anders sind“. Der Ausländerbeauftragten bleibt festzustellen: „Ich kann keinem garantieren, dass er hier nicht behelligt wird.“ Deutsche sind davon nicht ausgenommen.

Wie die Fürstenwalder Jugendlichen Nico und Dirk. Der eine trägt kurzes Haar und eine blonde Strähne, der andere lange, wilde Locken, beide mischen in der örtlichen Antifa mit – allemal genug, um im Land der unbegrenzten braunen Möglichkeiten damit zu rechnen, eins auf die Fresse zu kriegen. „Zwei- bis dreimal in der Woche werde ich von Rechten angepöbelt“, sagt Nico. Mehrfach ist er durch Fürstenwalder Straßen gejagt worden, einmal haben ihn die Rechten 250 Meter vor der Haustür erwischt. Kumpel Dirk trägt nach Auseinandersetzungen mit Rechten einen Splitterbruch im Unterarm davon, und auch der „Lendenwirbel war im Eimer“.

Da erscheinen die Sorgen, die SPD-Mann Jörg Skibba umtreiben, wie Glückseligkeiten. Der Geschäftsstellenleiter des Unterbezirkes Oder-Spree, der im dritten Stock einer Platte in Fürstenwalde-Nord für die Genossen schuftet, muss immer wieder NPD-Aufkleber von Briefkästen und Namensschildern kratzen. Wer ihn besucht, bekommt drei Polaroids als Beweismittel über den Tisch gereicht und wird zu Wohnungstüren geführt, an denen nur noch die Klinke aufkleberfrei („Einwanderungsstopp! Widerstand jetzt!“) ist. Parteifreund Manfred Stolpe gibt inzwischen offen zu: „Das Thema Ausländerfeindlichkeit gehört leider zu unserem Alltag.“

Nicht immer waren die Worte des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg so deutlich. Dabei warnen Rechtsextremismusexperten wie der Berliner Bernd Wagner schon lange: „Die fest verwurzelte Intoleranz der gesellschaftlichen Mitte bildet die Brücke zwischen rechtsextrem orientierter Jugendgewalt und breiten Teilen der Bevölkerung.“ Das rechte Wählerpotential wird in Brandenburg auf gute zwölf Prozent geschätzt.

Die einen sitzen in Amtsstuben, halten still, schwächen ab und fürchten, in Konflikt mit dem Volkswillen zu geraten. Die anderen haben Geschäfte und Angst, dass Kunden ausbleiben oder dass sie von Rechten drangsaliert werden. Wenn die Mitarbeiter des Jugendbündnisses „Noteingang“ Kommunalpolitiker und Ladeninhaber um Unterstützung für ihr Anliegen bitten, Ausländern vor fremdenfeindlicher Gewalt Schutz zu gewähren, winken viele ab. Dabei sollen sie nichts weiter tun, als einen kleinen schwarz-gelben Aufkleber, Aufschrift „Noteingang“, an ihren Türen anbringen. Signal: Hier solidarisiert sich jemand mit Betroffenen rassistischer Gewalt. Nach einem Jahr fällt die Bilanz des Jugendbündnisses ernüchternd aus: Bürgermeister sagen, sie können sich nicht öffentlich gegen Rassismus positionieren; Lokalgrößen finden, die Ausländerfeindlichkeit bei den Jugendlichen werde sich verwachsen; Händler meinen, es müsse aufgepasst werden, dass sich die Fehler von 1933 nicht wiederholen: Damals seien Juden ausgegrenzt worden, heute Rechte. Gerade mal 202 Aufkleber haften nun an märkischen Türen. „Das ist ein Lehrstück gewesen“, sagen die Initiatoren, „was Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft heißt.“

Geh, Fremder, wir sind beschäftigt. Hier feiern wir die Eröffnung eines Supermarktes. Hier gibt es Pfannkuchen, sechs Stück zu fünf Mark. Hier gibt es Trauben, im Sonderangebot. Hier sollen die Gören auf der Giraffe hüpfen können, unbeschwert und ungestört. Da hinten, da klotzt ein DVU-Plakat, Aufschrift: „Diesmal Protest wählen“. Na und?, raunzt ein Fürstenwalder.

Ein Ruck geht durch Brandenburg. Ein Rechtsruck. Reisende beschweren sich, wenn sie im Regionalzug Richtung Frankfurt (Oder) Durchsagen auf Polnisch hören. Senioren sind begeistert, wenn der NPD-Landeschef Jörg Hähnel im Altersheim auf der Gitarre deutsches Liedgut hoch und runter klimpert. Plattenbaubewohner nicken anerkennend, wenn deutsche Jugendliche ihnen den Innenhof renovieren und zwölf Roteichen vors Fenster pflanzen. Mittlerweile greifen gar PDSler wie die Brandenburger Spitzenkandidatin Anita Tack zu den gängigen Erklärungen: „Die Begegnung mit Ausländern“ sei zu DDR-Zeiten „nicht gefördert, sogar behindert worden. Ein echtes Verständnis für Lebensweise und Kultur anderer wurde nicht vermittelt. Insofern trägt die DDR leider auch Verantwortung für die Probleme von heute.“

Ein Problem ist sicher hausgemacht: Hier ein Bündnis, da ein Bündnis, hier ein Programm, da ein Programm, hier ein Appell, da ein Appell – in keinem anderen Bundesland werden so viele Bündnisse geschnürt, Programme gestartet und Appelle ausgestoßen wie in Brandenburg, dabei immer das Ziel vor Augen: Den rechten Trend stoppen, egal wie, nur stoppen. Es gibt ein landesweites „Aktionbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“, lokale Bündnisse unterschiedlichen Namens, Bündnisse, geschmiedet in Kirchenkreisen. Wer soll sich da noch auskennen? Es gibt Programme wie „Tolerantes Brandenburg“ und Unterprogramme wie „Mobiles Beratungsteam Brandenburg“. Es gab die „Opferhilfe“, und es gibt die Mega-Einsatzgruppe. Wer soll wie und in welcher Höhe gefördert werden? Und es gibt Appelle. Wenn etwa Manfred Stolpe auf dem Marktplatz von Elsterwerda wahlkämpft und aus einem DVU-Lautsprecherwagen plötzlich Parolen herüberschwappen. „140.000 Arbeitsplätze haben Investoren aus anderen Ländern in Brandenburg geschaffen“, greift der Landesvater da energisch ein. Wie auch der Kanzler, der in der Landeshauptstadt Potsdam Wahlkampfhilfe leistet. „Nie wieder darf der braune Sumpf in den Parlamenten mitreden“, warnt Schröder streng. Der Beifall? Verhalten.

Wo von 2,6 Millionen Bürgern 18,8 Prozent nicht wissen, was sie morgens nach dem Aufstehen tun sollen, wo Bauern für 57 Pfennig pro Liter Milch Kühe melken und Westler nach Rückübertragung trachten, da sind einfache Lösungen gefragt, da sind Männer populär wie Axel Hesselbarth, 42, Chef der Brandenburger DVU. Männer, die soziale Probleme mit Überfremdung erklären. Schon in Sachsen-Anhalt hatte das im letzten Jahr Erfolg. 12,9 Prozent hievten Gerhard Freys Jünger in den Magdeburger Landtag. Damals war die DVU noch eine Partei mit Maske. Heute hat sie in Brandenburg drei Gesichter. Von den Plakaten lächeln Herr Claus, der Spitzenkandidat, und Frau Hesselbarth, die Zweite auf der Liste. Im Hintergrund führt der Landeschef den 2,5 Millionen Mark teuren Wahlkampf.

Über Strausberg, einem Städtchen östlich von Berlin, kreist ein Flieger: „Wählt DVU“ schwingt es hoch droben. Unten, im China-Palast, empfängt Axel Hesselbarth. „Wissen Sie“, sagt er freundlich, „hier gehe ich oft mit meiner Familie essen.“

Hesselbarth ist ein Mann vom Bau: kantiges Gesicht, kräftige Arme, zackiger Ton, Chef einer 15-Mann-Truppe, Herr dreier Lehrlinge, „ich beschäftige nur Deutsche“. Ein Mann, dem man gerne glaubt: „Die NVA war die beste Menschenschule überhaupt.“ „Disziplin, Ordnung und Sauberkeit“ habe er da gelernt, „Tugenden, die dem Deutschen Volk verlustig gegangen sind“. Als Unterfeldwebel ist er nach drei Jahren ausgeschieden. Studierte. Trat der SED bei. Glaubte, dass die DDR die zehntgrößte Industrienation der Welt sei. Wurde Oberbauleiter in einem Wohnungsbaukombinat. Dirigierte Wohnungsbautaktstraßen. Bildete Mosambikaner und Vietnamesen aus, „alles sehr vernünftige Leute“. Und setzte die Initiative des 8. Parteitages um: „Jedem eine Wohnung.“ „2.600 Wohneinheiten habe ich in Strausberg an Mieter übergeben“, sagt Hesselbarth so stolz, als müsse nun jeder von ihnen aus Dankbarkeit seine Partei wählen.

„Hesselbarth? Axel?“ In der Strausberger PDS-Geschäftsstelle weiß der Geschäftsführer mit dem Namen nichts anzufangen. Mit dem des alten Hesselbarth schon viel mehr. Kommunist, hoher Offizier im Verteidigungsministerium der DDR. „Lebt der noch?“

Kommunisten wie der alte Hesselbarth legten Wert auf Ordnung und Disziplin. Sie erzogen ihre Söhne tugendstreng. Die Söhne folgten dem Vorbild. Setzten sich wie Axel Hesselbarth zum Ziel: „Arbeit, berufliches Vorankommen und Sicherung einer guten Existenz“ – ein Lada musste dabei schon herausspringen. Heute fährt er einen Mercedes S 320 und ist nicht der einzige, der sich rechts außen wohl fühlt, Arbeit für die DVU und für die deutsche Sache macht, natürlich nur „nach Feierabend“ und natürlich nur „aus reinem Patriotismus“.

In etwa sieht die so aus: Kreisverbände aufbauen (11), Mitglieder gewinnen (583), bei Bauern („Klientel“) vorstellig werden, sich schon mal unter die Besucher eines Anitfa-Konzertes mischen („Wenn ich diese affenartigen Bewegungen angucke, armes Deutschland!“), Plakate kleben („In Strausberg haben wir das zehnte Mal nachplakatieren müssen. Strausberg ist extrem rot.“) und den Briefkasten entleeren. 100.000 Briefe verschickte die DVU, verpackt in rote Umschläge, Aufschrift „Wahlbüro Potsdam“. Die Resonanz, sagt Hesselbarth, sei großartig gewesen. „Von 350 Rücksendungen gestern waren vielleicht acht Karten mit Kommentaren wie ,Nazis raus!‘ dabei. Die anderen haben alle hinter ,Reduzierung der Ausländer‘ ein Kreuz gemacht.“

Man kann sich gut vorstellen, wie dieser Mann, Typ Mörtel-Rhetoriker, tagsüber auf Baustellen und abends an Stammtischen Überzeugungsarbeit leistet. Hemdsärmlig wird Axel Hesselbarth seine einfachen Sätze bilden wie: „Was wir ausschließen wollen sind Asylbetrug und Schwarzarbeit auf dem Bau. Wir wollen keine Überfremdung im Land. Schwerstkriminelle gehören ins Zuchthaus. Zugekiffte Chaoten ins Gefängnis. Kinderschändern gebührt die Todesstrafe. Die Zahlungen aus dem Bundeshaushalt an das Nachbarland Polen müssen gestoppt werden.“ Die Deutschen, sagt er, seien viel strebsamer und fleißiger, das bessere Volk eben, nicht eingerechnet in seine Logik Grünhaarige und in Zahnlücken Gepiercte. Ausländerfeindlich? Ängste schüren? „Gar nicht“, wehrt Hesselbarth ab, verweist auf die hier integrierten Ausländer, „die uns bereichern“, auf seine guten Freunde in Russland und besonders auf seine guten Freunde in Südtirol. Die würden sich mehr Leute wie ihn wünschen. Die müssten dann nicht mehr an ihr Hotel einen italienischen Namen schreiben. Deutschland eben, überall.