■ Grünes Selbstverständnis: Realos und Linke setzen beide auf Wachstum. Dabei geht das Grüne bei den Grünen verloren
: Plädoyer für Nachhaltigkeit

Die Wachstumseuphorie ist vorbei – nicht nur ökologisch, auch ökonomisch

Alle Parteien sind aktuell auf der Suche nach ihrer Identität. Darin spiegelt sich die Suche der ganzen Gesellschaft nach einem neuen Selbstverständnis. Denn klar ist: Die Zeiten, in denen stetiges Wirtschaftswachstum ebenso stetig in privates und öffentliches Wohlstandswachstum umgemünzt werden konnte, sind vorbei. Bei den Regierungsparteien sind die Widersprüche und der Druck zur Klärung der eigenen Position natürlich größer als bei der Opposition, deren Forderungen keinem Machbarkeitstest unterliegen.

Das Spannungsfeld, um das aktuell gestritten wird, liegt zwischen den Polen soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftsliberalismus. Auch bei den Grünen geht es im Kern darum – die interessantere Frage hingegen lautet, wo dabei ihr eigenes Thema und ihr historisches Verdienst, das Engagement für Umwelt und eine nachhaltige Entwicklung bleibt.

Die Grünen sind in Gefahr, sich auf das zweidimensionale Politikverständnis der anderen Parteien zu reduzieren. Das rechthaberische Verharren in Flügelgräben birgt nicht nur Probleme für die Modernisierung der Parteistruktur. Beide Strömungen vernachlässigen auch das Grüne bei den Grünen.

Ein Teil der Partei wünscht sich ein klares linkes Profil mit mehr sozialer Gerechtigkeit durch mehr Umverteilung. Aber was heißt links? Mehr Staat? – Mehr Staatsverschuldung heißt mehr Lasten auf künftige Generationen abwälzen. Mehr Umverteilung durch mehr Steuern für Vermögen und Wirtschaft? In Zeiten global verflochtener Wirtschafts- und Finanzströme führen einseitige nationale Belastungen zu Kapital- und Vermögensflucht. Auch sind viele Wirtschaftskräfte, besonders kleine und mittlere Unternehmen, unter den geltenden Bedingungen oft über ihre Kräfte belastet. Sie brauchen Entlastung, um Arbeitsplätze erhalten und schaffen zu können.

Auf der anderen Seite steht der ökoliberale Flügel, der sich für den schlanken Staat und den Abbau von Steuerhürden engagiert, um der Wirtschaft mehr Handlungsraum zu geben. Damit wird aber die Aufgabe der sozialen Absicherung des wachsenden Heers von Transferhilfeempfängern nicht gelöst. Dasselbe gilt für den Zielkonflikt zwischen dem Zwang der Wirtschaft zur Kostenminimierung und grünen Umweltansprüchen.

Einseitige Politikmodelle werden dem Spannungsverhältnis zwischen der notwendigen Wirtschaftsentlastung und der ebenso notwendigen sozialen Gerechtigkeit nicht gerecht. Gleichzeitig reduzieren sie das grüne Engagement für Umwelt und Nachhaltigkeit zum legitimatorischen Beiwerk. Wird der liberale Bogen überspannt, droht die Partei zum Abziehbild der FDP zu werden und ihre grüne Basis zu verlieren. Der linke Flügel seinerseits sitzt eingeklemmt zwischen linker Traditions-SPD und der PDS – keine sehr attraktive Lage. Das Entscheidende ist: Beide Flügel vernachlässigen das spezifisch Grüne.

Denn die Grünen sollten sich von den anderen Parteien weder durch mehr Liberalität noch mehr linkes Profil unterscheiden. Es ist der viel strapazierte, schwer zu fassende Begriff der Nachhaltigkeit – Nachhaltigkeit nicht nur im engeren ökologischen Sinne, sondern als gesellschaftspolitisches Entwicklungsprinzip, als Alternative zum Wachstumsprinzip.

Bei den anderen Parteien steht die (Wieder-)Belebung des Wachstums im Zentrum aller politischen Ziele. Der Streit geht nie um das Ziel, sondern immer um das Wie der Wachstumsstimulation, um die mehr angebots- oder nachfrageorientierte Politik. Und um die Verteilung des Wachstums. Bei genauerem Hinsehen gilt dies auch für die Umverteilungswünsche der PDS. Der Anspruch der „nachhaltigen Entwicklung“ zielt dagegen auf gesellschaftliche Selbstbeschränkung.

Dies wird von uns Grünen aber nicht offensiv in die Debatte eingebracht – von den Realos nicht, weil man letztlich auch auf Wirtschaftswachstum setzt. Von den linken Grünen nicht, weil auch sie das Wachstum für mehr soziale Gerechtigkeit brauchen. Ein Teufelskreis – alle Politik hat sich vom Wirtschaftswachstum abhängig gemacht. Nachhaltigkeit klingt zudem unmodern und riecht nach jener Verzichtspolitik, die den Grünen schon so viel Ohrfeigen eingebracht hat. Offenbar müssen Parteien immer versprechen, dass alles irgendwie immer mehr und besser wird, sonst haben sie keine Wahlchancen. So hat Nachhaltigkeit bis heute nur Wert für FachpolitikerInnen. In der Diskussion um die Grundausrichtung unserer Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik taugt er nur für Sonntagsreden.

Das Interessante aber ist, dass die reale Entwicklung aus ökonomischen – nicht aus ökologischen – Gründen derzeit dringend Nachhaltigkeit braucht. In immer mehr Bereichen muss von Wachstumswirtschaft auf Sparwirtschaft umgeschaltet werden. Das Sparpaket läutet das Ende der staatlichen Wachstumseuphorie ein. Andrea Fischers Gesundheitspolitik steuert von Expansion auf Selbstbeschränkung um. Die Begrenzung des Rentenanstiegs auf die Inflationsrate ist ein Schritt zum Ausstieg aus einer wachstumsorientierten Rentenpolitik. Kurt Becks Vorschlag der Begrenzung der allgemeinen Einkommensentwicklung auf Nettonull zielt auf ein Stück Nachhaltigkeit, das die Grünen nicht zu diskutieren wagen. Dabei wissen es alle: Arbeitsplätze werden in größerer Zahl erst dann wieder geschaffen, wenn in der Einkommensentwicklung auf die Bremse getreten wird. Und ökologische Nachhaltigkeit werden wir nur bekommen, wenn wir nicht nach permanenter Wohlstandsmehrung rufen.

Gerade wir Grünen müssten das schrittweise Umschalten unserer Gesellschaft auf die Unabhängigkeit vom Wachstum positiv wenden. Die Zeit ist reif dafür, denn selbst wenn die Wirtschaft wieder anspringt, werden die erhofften Wachstumseffekte nicht oder nur teilweise eintreffen. Wachstum hat sich längst abgekoppelt von den Arbeitsplätzen, Einkommen und Steueraufkommen.

Nachhaltigkeit ist noch immer ein Begriff für Sonntagsreden

Natürlich gilt es Nachhaltigkeit mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden. Auch sollten gerade Grüne Nachhaltigkeit nicht nach der Fünfmarksmethode predigen. Bitter genug haben wir lernen müssen, wie allergisch Medien und Wähler auf Verzichtsforderungen reagieren. Erforderlich ist ein kommunikativer Politikstil, der auf das Austarieren einander widerstrebender Interessen zielt.

Meine These: Die reale gesellschaftliche Entwicklung fordert mehr Nachhaltigkeit als wir Grünen. Die Aufgabe der Partei ist es, ihr Selbstverständnis als Umweltpartei unter den veränderten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen neu anzugehen, durchaus in der Breite der grünen Strömungen, aber bezogen auf ein gemeinsames Zentrum.

Franziska Eichstädt-Bohlig