Überlebenskünstlerinnen auf dem Weg zum Markt

■ Der Biotechnik-Betrieb In-Vitro-Tec schafft neue Jobs – als Arbeitsförderbetrieb im Dritten Sektor. Insgesamt bewegt sich auf dem Feld nicht viel, auch unter Rot-Grün nicht

Berlin (taz) – Die Gegend am Stadtrand von Ostberlin lässt nichts Gutes erwarten. Wo die Plattenbausteppe in Brachland mit Unkraut und Strommasten übergeht, steht das verlassene Pförtnerhäuschen des ehemaligen „Volkseigenen Gutes Gartenbau Berlin“. Der Name ist auf dem zerborstenen Glasschild kaum noch zu lesen, die Treibhäuser, die einst halb Westberlin mit Schnittblumen versorgten, haben Brennnesseln Platz gemacht. Ganz hinten jedoch stehen drei intakte Gewächshäuser. Dort findet ein soziales Experiment statt – erfolgreich.

In-Vitro-Tec heißt die Firma, und Ursula Dathe ist die Geschäftsführerin. Schwerpunktmäßig züchtet sie mit rund 60 KollegInnen „extremophile Pflanzen“: Gewächse, die das Extreme lieben. Sie wachsen zum Beispiel auf Bahndämmen, auch bei großer Trockenheit – Überlebenskünstler eben.

Das sind auch die Beschäftigten von In-Vitro-Tec. Viele haben wissenschaftliche Erfahrung, einige promovierten in Biologie – und trotzdem wären sie nach der Wende beim Arbeitsamt gelandet, hätten sie nicht den Betrieb gegründet.

„Wir leisten uns vier Männer.“ Ursula Dathe lächelt. Die Mehrheit der Belegschaft ist weiblich. Das hat Gründe. Das Biotechnologie-Unternehmen dient in erster Linie dem Zweck, arbeitslosen Frauen einen neuen Job zu verschaffen. Aber nicht auf die plumpe Tour – ein Jahr ABM, Arbeitslosengeld, ein weiteres Jahr ABM, dann die nächste Warteschleife – so nicht. In-Vitro-Tec bekommt seit sechs Jahren eine großzügige öffentliche Förderung. Am Anfang waren es 60 Prozent des Umsatzes, mittlerweile sind es nur noch acht Prozent. Die staatlichen Zuschüsse nehmen programmgemäß ab – verbunden mit der Herausforderung und Drohung, dass das Unternehmen nach sechs Jahren komplett vom Verkauf seiner Produkte leben muss. Im nächsten Jahr soll es so weit sein.

Als die jetzige Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) noch Berliner Senatorin für Arbeit und Frauen war, legte sie das Programm für mehrere Dutzend „Arbeitsförderbetriebe“ auf. In-Vitro-Tec gehört dazu. Ein Beispiel für Kreativität im Dritten Sektor – dem Bereich der Wirtschaft, der zwischen Markt und Staat liegt. Nur durch die geschickte Kombination von öffentlichem Geld und privaten Einnahmen kann die Pflanzenfirma existieren – und möglicherweise überleben.

Bundesweit gibt es einige dieser Ansätze dieser neuen Art von Wirtschaftspolitik. Niedersachsen etwa legte ein ähnliches Programm auf, aus dem mittlerweile einige Tausend halbwegs stabile Jobs hervorgegangen sind. Doch sonst bewegt sich auf dem Feld nicht viel.

Thea Dückert, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, beteuert zwar, dass das Thema ihrer Partei nach wie vor am Herzen liege. Aber zu wesentlichen Initiativen hat auch die grüne Regierungsbeteiligung bislang nicht gereicht.

Ein bundesweites Programm für Arbeitsförderbetriebe ähnlich der Maßnahme „100.000 Jobs für Junge“? „Das wäre eine gute Idee“, meint Dückert. Doch sie weiß, dass derartige Ideen im Kabinett nicht hoch im Kurs stehen. Dort fährt der Zug eher in Richtung der traditionellen Wirtschaft. Mit dem Bündnis für Arbeit und der Etablierung eines Niedriglohnsektors für Dienstleistungsjobs orientiert sich die Regierung an den schon bestehenden Unternehmen auf dem Markt.

„Im Hinblick auf den Dritten Sektor klafft eine Lücke“, bedauert Annelie Buntenbach, linke Kritikerin der Regierungspolitik innerhalb der grünen Fraktion. Dass neue Niedriglöhne wesentlich mehr Jobs schaffen könnten, bezweifelt sie. „Das führt nur zu Verschiebungen“, so Buntenbach. Ihre Befürchtung: Wenn ein Unternehmer einen subventionierten Niedriglöhner einstellen könne, werde er früher oder später eine normal bezahlte Stelle dafür einsparen.

Diese Gefahr besteht bei Betrieben wie In-Vitro-Tec nicht. Dabei handelt es sich um zusätzliche Jobs, die es sonst nie gegeben hätte. Das zu erreichen war kein Zuckerschlecken. „Manche ist auf der Strecke geblieben“, sagt Geschäftsführerin Dathe. Nicht jede der vorher arbeitslosen Frauen brachte die Leistung, die der Markt verlangt. Und die Jagd nach mehr Umsatz, der die öffentliche Förderung ersetzen kann, gleicht einer endlosen Hetze. Ob In-Vitro-Tec die letzten acht Prozent Subventionen auch noch wegdrücken kann, wird sich bald zeigen. Es gibt ja keine Alternative – außer der Arbeitslosigkeit. „Wir hoffen das zu schaffen“, sagt Ursula Dathe. Hannes Koch