■ Berlin rennt
: Wohlfühleffekt

Läufer, die in Kreuzberg leben und nahe ihrer Dusche laufen mögen, trainieren gerne im Volkspark Hasenheide, der schon zum Bezirk Neukölln gehört, aber unmittelbar an Kreuzberg anschließt. Das ist besser, als im kleinen Viktoriapark herumzuhoppeln, der den einzigen Vorteil hat, an einem Hügel namens Kreuzberg gelegen zu sein, dem Namensstifter des Bezirks.

In der Hasenheide hatte 1811 Friedrich Ludwig Jahn, genannt der Turnvater, den ersten Turnplatz der Welt bauen lassen. Jahn ließ seine Turner züchtig mit in die Seite gestemmten Armen laufen; Frauen wollte er ebensowenig dabei haben wie Juden oder Franzosen. Allein, mit der literarischen Würdigung des Treibens haperte es; ein zeitgenössisches Gedicht lautet: „Dauerlauf, Dauerlauf, trapp, trapp, trapp / Immer den Turnplatz auf und ab / Schlangenlinien kreuz und quer /Hei, wer doch ein Turner wär.“

Wer dann, hei und heutzutage, doch lieber Läufer wär und in der Hasenheide eine ganz große Runde läuft, der passiert nicht nur das Jahn-Denkmal, sondern der kann auch den hinter einen Zaun gestellten Nachbau des alten historischen Turnplatzes sehen.

Die Hasenheide ist bei Läufern beliebt, weil sie recht groß ist. Eine mittlere Runde wurde von einem fleißigen Menschen mal vermessen: 2,3 Kilometer. Das klingt genau, unklar ist bloß, wann man welchen Abzweig nehmen muss, um auch gewiss diese Strecke zu erwischen. Die Hasenheide bietet viel weichen Boden, sie ist abwechslungsreich, etwa wenn man über verschiedene Wege die kleine Rixdorfer Höhe erläuft, und sie bietet auch ganz abseitige Möglichkeiten, wie beispielsweise den etwas versteckt liegenden Rhododendronhain, ein kleiner Park im Park.

Die Hasenheide ist sehr nah an den U-Bahn-Stationen Hermannplatz, Südstern und Boddinstraße gelegen; wer mit dem Auto kommt, kann gut am Columbiadamm parken. Beinah nur Vorteile also, die die Hasenheide den Läufern bietet. Wenn sie noch größer wäre, könnte sie gar dem Tiergarten Konkurrenz machen.

Hätte sie nur nicht so einen schlechten Ruf! Die Sicherheit des Parks ist nämlich nicht gewährleistet. Nur ganz wenige Wege sind beleuchtet – was zeigt, dass in dieser Richtung nichts unternommen wird. Immer wieder werden Gewaltverbrechen, Vergewaltigungen, Überfälle und ähnliches aus der Hasenheide gemeldet. Zum schlechten Ruf der Hasenheide gehört auch, dass sie zum Anziehungspunkt für allerlei Kleindealer geworden ist. Von denen geht für einen Jogger keine Gefahr aus, aber den Wohlfühleffekt, den so ein Laufen ja auch haben sollte, mindert es doch beinah so, als ob ein schreiender Turnvater hinter einem her wäre.

Alternativ kann der Kreuzberger gut am Landwehrkanal laufen. An irgendeinem Punkt, ob am Kottbusser Damm, am Urbankrankenhaus oder am Görlitzer Park, läuft man los und hat erstaunlich viele Optionen. Sonntags sehr früh, wenn kaum Autos unterwegs sind, lohnt es sich, Richtung Tiergarten zu joggen, auf der einen Kanalseite hin, auf der anderen zurück. Der größte Teil des Weges verläuft unter der Hochbahn, die Brücken lassen sich gut passieren, weil zu dieser Zeit noch kein starker Verkehr herrscht. Je nach Tempo, Lust und Zeit passiert man die Wassertümpel des Potsdamer Platzes, man sieht die Neue Nationalgalerie, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, wo vielleicht ein mitleiderregender Soldat Wache schieben muss, das Bauhausarchiv und allerlei alte Villen.

Oder man läuft Richtung Neukölln, wo sich der Landwehrkanal ab dem Lohmühlenplatz Neuköllner Schiffahrtskanal nennt. Weigandufer und Kiehlufer heißen die Straßen, denen noch der Schick des Kreuzberger Kanalbewohnermilieus fehlt und die dank weichem Boden wunderbar zu laufen sind. Oder man dreht einfach, mangels Lust, zu weit entfernt von Heim und Dusche zu landen, immer die Runden vor dem Urbankrankenhaus oder im Görlitzer Park.