Live und Leni

„Rammsteins“ Konzertfilm kommt auf seiner Tournee auch im Grünspan vorbei  ■ Von Alexander Diehl

Seit einigen Jahren ist die Sache amtlich: Spätestens mit dem strammen „Rechtsrock“ war klar, dass das Aufbegehren der Rockmusik nicht zwingend in fortschrittlichem, ,linken' Sinne lesbar ist. Nach ein, zwei heissen Saisons in Talkshows und Nachrichtenmagazinen verschwanden Störkraft und die anderen vorerst wieder von der Bildfläche, genauso die Bösen Onkelz, in all ihrer vermeintlichen Missverstandenheit die mainstream-tauglichste der Sturmkapellen.

Gewissermaßen in diese sich auftuende Leerstelle positionierten sich Rammstein. Martialischer Breitwand-Techno-Metal, aus tiefsten Seelengründen theatralischer Innerlichkeit heraufgegurgelter Gesang, kalkulierte textliche Tabubrüche und opulente Bühneninszenierungen, die wie Miniatur-Reichsparteitage daherkommen: Rammstein verquicken Jugendkultur und Gesamtkunstwerk, Mythos und Musical – und befriedigen offenbar vielerorts eine tiefsitzende Lust auf starke Bilder und intensive Erlebnisse.

Für den Erfolg der Band ist wohl nicht so sehr ihre schmissige Musik verantwortlich („Da rumpelt der Metal so satt und fett wie selten gehört“, taz, 4. August 1995) und auch nicht die Vergangenheit einiger Mitglieder in honorigen ostdeutschen Underground-Formationen – die dürften die Fans im Westen nicht mehr kennen, erst recht nicht die im europäischen Ausland und den Vereinigten Staaten, wo Rammstein als Platzhalter musikgewordenen Teutonentums die Nachfolge Kraftwerks angetreten haben.

Glaubt man der bandeigenen Geschichtsschreibung, so entstand das bedeutsame Drumherum, das „Prinzip Rammstein“, aus einer Art Herrenwitz-Ostalgie mit überraschendem Ausgang: „In einem Proberaum im Prezlauer Berg entsteht vor dem Wall of Krach, den die geilen neuen West-Effektgeräte machen, die erste Rammstein-Zeile“ (taz, 29. August 1997). Angesichts dieser („Ich will ficken“) sorgte man sich noch darum, ob man so etwas überhaupt veröffentlichen dürfe. Als die Zensur ausblieb und der Erfolg einsetzte, wurde freilich die Kontroverse zum Selbstgänger und der Tabubruch zum Markenartikel: tragische Unglücke (Ramstein heißt jetzt Rammstein), Vergewaltigung und Kindesmissbrauch, S/M-schwangere Spielereien mit Sperma, Blut und Elementen sowie romantische und religiöse Anleihen. Und als das Thema sich auch nur abzukühlen drohte, wurde im Sommer vergangenen Jahres das Video zu „Stripped“ nachgelegt – samt skandalträchtiger Olympia-'36-Film-Samples.

Der Pop-Populärwissenschaftler Ulf Poschardt hat auf die Unterschiede zwischen der Deutschtums-Koketterie Kraftwerks und der inszenierten Totalitarismus-Ästhetik Laibachs einerseits und dem ironiefreien Rammstein-Selbstentwurf andererseits hingewiesen. Rammstein fehlen „Dynamik und Komplexität, die Kraftwerk oder Laibach aufbrachten, um ihre eigenen Codes immer wieder über die Klinge springen zu lassen. (...) Das Kunsthandwerkliche der Imagekonstruktion bis hin zum naseweisen Einsatz der Leni-Riefenstahl-Zitate im Video macht die Leere des von Rammstein annektierten Raumes in der Popkultur deutlich.“ (Ulf Poschardt in: Die Beute, neue Folge £3, 1999).

Keine ganz unpopuläre Leere allerdings: Um „die weltweit in hohen Zahlen kursierenden, hoch gehandelten Live-Bootlegs (...) zu bereichern und den Fans das bestmögliche Äquivalent zum ,echten' Live-Erlebnis zu bieten“ (Info), tourt jetzt ein abendfüllender Konzertfilm durch die Republik, der auch als Kaufvideo und CD vorliegt. Live aus Berlin ist das Dokument zweier Konzerte im vergangenen Jahr: Rund 40.000 Kehlen skandieren „Bück Dich“, und ein Lichtdom illuminiert den Nachthimmel. Leider wird nur die FSK-18-Version zeigen, was Sänger Till so alles mit einem riesigen Gummi-Penis anstellen kann; eine „censored“-Version spart das aus. Welche von beiden wohl morgen im Grünspan gezeigt wird?

Rammstein – „Live aus Berlin“, Konzertfilm-Vorführung, Sonntag, 20 Uhr, Grünspan