Schön wäre Stuck

■  Die Berliner sind Umzugsjunkies: 1998 packten 700.000 Haushalte die Koffer. Denn noch sinken die Mieten. Und 2000 droht der nächste Einbruch auf dem Mietmarkt

Der Preis ist okay, die Wohnung zum Heulen. Eine Erfahrung, die Petra Bergmann seit zwei Jahren immer wieder macht. So lange opfert sie schon ihre Wochenenden der Suche nach einer Zwei- bis Dreizimmerwohnung im Altbau. Saniert sollte sie sein, mindestens siebzig Quadratmeter messen. Mit einem Balkon für das Kräuterbänkchen. Schön wäre Stuck. Zu den Top Ten der Scheußlichkeiten, mit denen sich die junge Architektin niemals arrangieren möchte, zählen Thermopanescheiben mit Plastikrahmen, Laminatfußboden und stilbrechende Zimmertüren. Ebenso wichtig wie der Standard ist der Bezirk: Prenzlauer Berg oderMitte, die Bezirke, die sich seit Mitte der Neunziger mit der Aura des Jungdynamisch-Kreativen schmücken.

Petra Bergmann müsste es leicht haben. Selten war der Berliner Mietmarkt so entspannt wie derzeit. Seit rund zwei Jahren sinken die Mieten, und wenn man den Annoncen in der Tagespresse glaubt, gibt es heute so viel freie Wohnungen wie noch nie zuvor. Maklercourtagen übernehmen oft die Vermieter. Wer heute noch Provision zahlt, gilt fast schon als Idiot. Dennoch: „Wer umziehen will, sollte sich jetzt ranhalten“, rät Alexander M. Rainoff, Erster Vorsitzender des Verbands Deutscher Makler (VDM) Berlin. Bereits im nächsten Jahr drohe der Einbruch auf dem Mietermarkt: der Schweinezyklus, wie der alle zehn Jahre wiederkehrende Einbruch auf dem Mietermarkt im Fachjargon heißt.

Top-Bezirke sind laut Rainoff Mitte, Prenzlauer Berg, Schöneberg, Grunewald, Dahlem und Westend. Ebenfalls gefragt: der Edel-Osten, Pankow. Was ist mit Neukölln, Wedding und Kreuzberg? „Für Makler ein Greuel.“ Während der Mietpreis für Neubauten in den In-Bezirken mit bis zu 20 Mark pro Quadratmetern schon das Preisniveau von westdeutschen Städten erreicht hat, kostet eine Altbauwohnung noch immer etwa dreißig Prozent weniger als im westdeutschen Schnitt. Zwischen 10 und 13 Mark pro Quadratmeter liegt laut Mietspiegel die Kaltmiete in der Regel. Ein Relikt aus den Tagen, als Westberlin noch eine Insel und die Mieten langfristig gebunden waren.

Die Berliner halten sich tatsächlich ran: In mehr als 700.000 Haushalten wurden im vergangenen Jahr die Umzugskisten gepackt. Tendenz steigend. Ein halbe Million Personen zogen innerhalb der Stadt um, vorwiegend von West nach Ost. Nur jeder Fünfte suchte sich sein neues Domizil jenseits der Stadtgrenzen im Grünen. Bislang ist der Strom der Wegzüge aus Berlin größer als der Zuzug. „Damit hat keiner gerechnet“, sagt Rainoff. Obwohl gerade der Markt an Ein- bis Dreizimmerwohnungen so viel herzugeben scheint, gibt es immer noch Engpässe. „Ein Mangel herrscht bei den gut sanierten Altbauten“, weiß Rainoff. „Die Berliner sind anspruchsvoller geworden.“ Der Mieter von heute wünscht sich einen Altbau mit Flügeltüren und dicken Wänden, so dass man die Nachbarn nicht so hört. In einem lebhaften Kiez, ruhig gelegen, aber mit Kneipenkultur in Reichweite. Außenklo ade. Mit euphemistischen Lagebeschreibungen wie „im Gartenhaus“ kann ein Vermieter heutzutage höchstens noch Neuberliner locken.

„Nur Wohnungen mit vier Zimmern oder mehr gibt es kaum“, resümmiert Rainoff. Eine Entwicklung, die sich1998 abzeichnete, als die ersten Bonner Familien nach Berlin kamen. „Selbst die meisten Einfamilienhäuser in den Außenbezirken sind mit vier Zimmern auf 100 bis 200 Quadratmetern für eine fünfköpfige Familie zu klein.“

Berlin – ein Paradies für Wohnungssuchende? „Nur teure Wohnungen in schlechten Lagen sind leicht zu kriegen“, meint dagegen Hartmann Vetter, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Und: Der soziale Wohnungsbau wird bundesweit eingeschränkt. Gerade erst gab das Bundesbauministerium bekannt, dass es die Mittel für den Sozialen Wohnungsbau von derzeit 1,1 Milliarden Mark bundesweit bis zum Jahr 2003 auf 600 Millionen Mark kürzen will. „In Berlin werden die Mittel gegen null gefahren,“ prognostiziert Vetter. Mietpreisbindungen werden fallen und neue Sozialwohnungen gar nicht gebaut.

In den In-Bezirken macht sich seit Jahren ein Wandel bemerkbar. Wohnten in Mitte bislang noch viele Familien, zieht es jetzt die besser verdienenden Dinks in die schön restaurierten, meist frei finanzierten Altbauten. Die Mieten tendieren hier eher gegen 20 als gegen 13 Mark pro Quadratmeter kalt. Das schlägt viele langsam in die Flucht.

Wie die die Fotografin Kerstin Müller, die nach zwei Monaten frustrierender Wohnungsbesichtigungen schließlich in Friedenau fündig wurde. „Es ist ja so spießig, eigentlich wollte ich hier nie hin.“ Doch in Friedenau konnte sie den Mietpreis um zweihundert Mark drücken. Kirsten Niemann