Museum des Schlafes

■  Die italienische Societas Raffaello Sanzio möchte im Hebbel-Theater ausgerechnet mit der Genesis Gott und die Welt erschrecken

Die siebziger Jahre waren ziemlich anstrengend. Die Kneipen waren düster, die Stimmung schlecht, und es musste erst John Travolta im weißen Anzug kommen, um am Ende etwas Leben in die Bude zu bringen.

Die Siebziger waren plötzlich wieder da, als ich am Donnerstag im Hebbel-Theater die jüngste Produktion „Genesi“ der italienischen Societas Raffaello Sanzio sah. Man wurde zurückversetzt in alte, unausgegorene Ängste vor Technik, Atomkrieg und dem Weltuntergang insgesamt. Und kein John Travolta kam, uns zu erlösen: Der Abend dauerte dreieinhalb Stunden, in jeder der beiden endlosen Umbaupausen zwischen den Akten floh das Publikum scharenweise aus dem Theater, und das unglückliche Jahrzehnt legte sich mir noch einmal mit seinem ganzen Gewicht auf die Lider.

Aber vielleicht sollte das auch so sein: „From the museum of sleep“, „Aus dem Museum des Schlafes“ hieß das Ganze schließlich im Untertitel. Fangen wir von vorne an. Im Halbdunkel stehen fünf Gestalten in Frack und Zylinder. Eine Frauenstimme sagt was auf Französisch über ein Gestein, das leuchtet und dessen Strahlen durchKörper hindurch scheinen können. Die Rede ist natürlich vom Uran und der Madame Curie. Ein Schreibtisch beginnt gespenstisch zu leuchten, und ein großer, dürrerMann bricht in einen heulenden Sprechgesang aus. Sein Text ist die hebräische Urfassung der Schöpfungsgeschichte. Der Mann zelebriert sie immer jaulender und macht dabei mit langen und gelenkigen Fingern Bewegungen, als wäre er Nosferatu höchstpersönlich. Vom Band quieken Schweine in seinen Gesang hinein, vor allem, wenn der Mann „Elohim“ sagt. Das ist das hebräische Wort für Gott.

Von der Genesis gibt es in diesem Theaterstück keine Spur. Hier wird eher die Geschichte einer Zerstörung erzählt. In schwindelnder Höhe fängt es in einem Glaskasten zu brodeln an, und man weiß nicht so recht, ob das jetzt das Schöpfungschaos sein soll oder doch bloß atomare Brennstäbe, die Hinterlassenschaft der Marie Curie. Ein Bild jagt dann wortlos das nächste. In einem gläsernen Schaukasten kopulieren Lamas, und in einem anderen macht ein Mann schlangenartige Verrenkungen. Der Boden hebt und senkt sich wie ein dicker Bauch. Eine brustamputierte Eva betritt die Szene mit einem gefroren Schrei im Gesicht. Später gibt es noch zwei echte Hunde, die echt auf die Bühne pinkeln, und einen Mann mit echtem, konterganverkrüppeltem Arm. Das lässt befürchten, dass die amputierte Brust ebenfalls echt amputiert ist.

Romeo Castellucci, der Autor und Regisseur des Abends, lässt nichts unversucht, um seine Zuschauer zu schockieren. Der zweite Akt ist deshalb wohl mit „Auschwitz“ überschrieben. Ein weiß gekleideter Junge fährt mit einer weißen Spielzeugeisenbahn durch eine weiße Landschaft, und auf seinem Rücken klebt ein Judenstern. Noch fünf andere Kinder leben hier, doch bald werden sie wohl sterben. Kronleuchter und Eingeweide hängen von der Decke. Einem Mädchen wird die Kehle durchgeschnitten. Am Ende müssen die Kinder natürlich duschen, und aus dem Lautsprecher raunt es von Hoffnung und Verzweiflung. Dem Zuschauer bleibt allein die Verzweiflung.

Esther Slevogt

Täglich bis 6. September, ab 20 Uhr, im Hebbel-Theater, Stresemannstr. 29, Kreuzberg