Rückwärts laufen macht Sinn

■  Alles könnte so einfach sein: Wer Strom ins Netz einspeist, lässt seinen Stromzähler rückwärts laufen. Rechtlich wäre das kein Problem. Doch die Energieversorger mauern mit fadenscheinigen Begründungen. Was ist machbar?

In einigen Ländern ist die Einspeisung von Solarstrom in das Stromnetz sehr unkompliziert. Anstelle eines separaten Solarstromzählers kann beispielsweise in den USA und der Schweiz der bereits vorhandene Strombezugszähler verwendet werden, der sich im Fall der Einspeisung einfach in die entgegengesetzte Richtung dreht. Bezahlt wird vom Verbraucher lediglich die verbleibende Differenz zwischen Einspeisung und Verbrauch.

In Deutschland dagegen verlangen die meisten Energieversorger einen zweiten Zähler, dessen Einbau mit bis zu 2.500 Mark zu Buche schlagen kann. Der zweite Zähler kostet zusätzlich etwa 60 Mark Miete jährlich und verbraucht selbst Strom für etwa sechs Mark. Also: Bei einer Anlage, die ein Kilowatt leistet und nach dem Stromeinspeisungsgesetz vergütet wird, werden sämtliche Einnahmen aus dem Solarstromverkauf allein für den Aufwand ausgegeben, den eingespeisten Solarstrom zu zählen.

Doch leider sind die Stadtwerke, die auf einen gesonderten Zähler verzichten, in Deutschland rar. Derzeit sind es lediglich vier, die rückwärtsdrehende Zähler erlauben: die Kraftübertragungswerke Rheinfelden und das Kraftwerk Laufenburg seit etwa einem Jahr, die Stadtwerke München seit Januar und die Stadtwerke Karlsruhe seit April dieses Jahres. In München handelt es sich dabei allerdings um das Nachfolgemodell zur kostendeckenden Vergütung – eine echte Verschlechterung also, und alles andere als lobenswert.

Doch da sich die kostendeckende Vergütung – zumindest nach Einschätzung des Präsidenten der Solarlobby Eurosolar und Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer – in absehbarer Zeit nicht bundesweit einführen lässt, treibt er als Zwischenschritt jetzt die Einführung rückwärts laufender Zähler voran. Unterstützt wird er dabei vom Bundesverband Solarenergie (BSE). „Der vorwärts-rückwärts-laufende Zähler gehört zu einer Reihe von Maßnahmen, die der Bundesverband Solarenergie zur Ergänzung des 100.000-Dächer-Programms vorgeschlagen hat“, unterstützt ihn Gernot Oswald, Geschäftsführer von Siemens Solar und Sprecher der Arbeitsgruppe Fotovoltaik des BSE. Derzeit arbeiten die Eurosolar-Juristen im Auftrag Hermann Scheers an einem gangbaren Weg zu einer verbindlichen Einführung.

Währenddessen bestreitet die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), dass rückwärts laufende Zähler mit deutschem Recht vereinbar seien. Unter Verweis auf das Umsatzsteuergesetz wird die vorteilhafte Rückwärtsdrehung kategorisch abgelehnt. Dabei gibt es Schlupflöcher die sogar Finanzministerium und Eichbehörde billigen. Die für Akribie bekannten Eichbeamten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt haben sich schon vor einiger Zeit durchgerungen, dass bis zu einer Anlagengröße von 10 Kilowatt rückwärts laufende Stromzähler toleriert werden. Bis zu einer endgültigen Regelung solle „insbesondere die Einführung von regenerativen Energien nicht unnötig verteuert werden“, heißt es in dem Beschluss der Arbeitsgemeinschaft Mess- und Eichwesen vom 6. Mai 1997. Dieser Beschluss wurde auf Initiative des Landesgewerbeamtes Baden-Württemberg gefasst, das auch heute noch treibende Kraft zur Einführung rückwärtslaufender Stromzähler ist.

Etwa anderthalb Jahre später hat das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg in einem Schreiben an die Energieversorgungsunternehmen (EVU) auf die „neue Möglichkeit bei der Einspeisung von Strom aus kleinen Fotovoltaikanlagen“ hingewiesen. Die zur Zeit praktizierte Zwei-Zähler-Lösung sei „sowohl für den Betreiber als auch für das aufnehmende EVU mit Nachteilen verbunden“. Völlig unbürokratisch wurde empfohlen, soweit eine Verpflichtung gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium bestehe, die jährlich in das Netz eingespeisten Kilowattstunden samt hierfür entstandenen Aufwand vorzulegen, diese doch einfach „zu schätzen“.

Doch die Beamten vom Bundesfinanzministerium sind weniger tolerant als ihre Kollegen auf Landesebene. Bernhard Saß, zuständig für Umsatzsteuer, teilte dem Bund der Energieverbraucher (BdE) Mitte März dieses Jahres auf dessen Anfrage mit, dass „nach einer Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder“ bei jeder gewerblich betriebenen Solarstromanlage „der durch die Solaranlage in das Netz eingespeiste Strom durch einen zusätzlichen Stromzähler ermittelt werden muss“. Für privat betriebene Anlagen gelte diese Regelung ausdrücklich nicht. Jedoch ist für Saß in Übereinstimmung mit der zu Rate gezogenen obersten Finanzbehörde jede (!) Solaranlage ein Gewerbebetrieb, bei der „von vornherein feststeht, dass dauernd überschüssiger Strom erzeugt wird, der dann dauerhaft gegen Entgelt in das allgemeine Stromnetz eingespeist wird“.

Der VDEW griff das Argument auf und warnte seine Mitglieder in seinem Blatt „VDEW-Kontakt“ (Ausgabe 12/98) vor Steuerhinterziehung, die „unter Strafandrohung“ stünde. Dem Staat, so die Argumentation, würde Umsatzsteuer vorenthalten. Die Linie wurde von der Energiewirtschaft aufgegriffen, Anfragen auf rückwärts laufende Zähler abschlägig beschieden.

Doch die Lösung hat Bernhard Saß in seinem Schreiben an den BdE selbst angedeutet. Er gibt zu bedenken, dass „in vielen Fällen die sogenannte Kleinunternehmerregelung des Paragraphen 19 des Umsatzsteuergesetzes zur Anwendung kommt“. Demzufolge wird die Umsatzsteuer nicht erhoben, wenn der Umsatz des Unternehmers im vorangegangenen Kalenderjahr 32.500 Mark nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr voraussichtlich 100.000 Mark nicht übersteigen werde. Damit bleibt der Solaranlagenbetreiber zwar noch formaljuristisch ein Unternehmer, rein praktisch ist er aber aus dem Schneider.

Einem rückwärtslaufenden Zähler steht also kein rechtliches Hindernis im Weg. Auch das Badenwerk könnte, wenn der Wille da wäre, diesen Weg nutzen. Derzeit liegt auf dem Tisch des Vorstandes ein entsprechender Antrag, gestellt von Mitarbeitern des eigenen Unternehmens. Die Entscheidung soll in den nächsten Wochen fallen. Anne Kreutzmann