Nicht wirklich privilegiert

■  Die Nutzung der Windenergie in Deutschland erreicht immer neue Rekordmarken. Doch manche Gemeinden blockieren neue Windkraftprojekte mit Veränderungssperren

Die Windkraft setzt hierzulande zu neuen Höhenflügen an. Im ersten Halbjahr gingen 616 Turbinen mit einer Leistung von 515 Megawatt (MW) neu ans Netz – eine Rekordmarke, die zum Jahresende eine Gesamtkapazität von rund 4.000 MW Windpower erwarten lässt. Diese Bilanz könnte noch besser ausfallen, wenn Dutzende Städte und Gemeinden nicht versuchten, über das Baurecht den Bau der Windpropeller zu unterlaufen oder zu verhindern.

Von dieser kommunalen Blockadehaltung kann Dirk Jesaitis ein trauriges Lied singen. In dem Büro des Windkraftplaners aus Eckernförde stapeln sich die Akten mit juristischen Briefwechsel. „Rüting“ und „Groß Trebbow“ steht auf zwei Sammelmappen. In beiden Orten im Landkreis Nordwestmecklenburg plant Jesaitis, Vorsitzender des Planerbeirates im Bundesverband WindEnergie (BWE), seit 1996 zwei Bürgerwindparks. So sind in Rüting fünf 1,5-MW-Turbinen vorgesehen, in Groß Trebbow sollen sich acht Maschinen mit einer Leistung von 1,65 MW drehen.

Wann dies sein wird, kann Jesaitis immer weniger abschätzen. Als er vor fast drei Jahren die Flächen pachtete, sah es nach keinen Verzögerungen aus. Immerhin waren die von ihm ausgeguckten Standorte für Windkraftanlagen rechtsverbindlich im Regionalen Raumordnungsprogramm ausgewiesen. Nicht nur die Antiwindpropaganda vom Bundesverband Landschaftsschutz gegen Bürgerwindparks haben Jesaitis seitdem Nerven gekostet. In beiden Gemeinden lehnten die Behörden die Bauanträge immer wieder ab.

Mitte letzten Jahres zog die Gemeindevertretung Groß Trebbow eine Notbremse der besonderen Art. Ohne eine Gegenstimme verhängten die acht Kommunalpolitiker eine Veränderungssperre für den im Bebauungsplan vorgesehenen Windkraftstandort. „Mit solchen Manövern versuchen einige Gemeinden, die im Baugesetzbuch vorgesehene Privilegierung von Windturbinen auszuhebeln“, empört sich Jesaitis.

Die Privilegierung von Windrädern im sogenannten Außenbereich hatte die Windszene schon fast ad acta gelegt. Kein Wunder: Nachdem das Bundesverwaltungsgericht 1994 entschieden hatte, dass der Bau von Windmühlen im unbeplanten Außenbereich nur noch als ,Sonstiges Vorhaben‘ über Paragraf 35 des Baugesetzbuches (BauGB) genehmigt werden könnte, verhinderte der Druck der Windkraftbefürworter den sich abzeichnenden Aufstellungsstopp. 1996 änderte die Bundesregierung diesen Paragrafen 35 und ebnete so wieder die Planung für Windturbinen als privilegiertes Bauvorhaben. Jedoch konnte sich die Politik nicht zu einer generellen Privilegierung durchringen. Der Paragraf 245 b BauGB räumte den Kommunen ab Januar 1997 eine zweijährige Übergangsfrist ein, um Vorrangflächen für Windkraftanlagen zu finden.

Viele Gemeinden, die den Bau von Windturbinen nicht ohne eine Aufstellung oder Änderung ihres Flächennutzungsplanes genehmigen wollten, haben in dieser Zeit ihre Hausaufgaben gemacht. Darauf hatte auch Bernd Meyer, Vorstandsmitglied der BWE-Regionalgruppe Weser-Ems, gehofft: „Im vergangenen Frühjahr hatten wir noch Signale von den verantwortlichen Stellen im Regierungsbezirk Lüneburg, dass sie die hiesigen Gemeinden auf die Privilegierung festlegen würden.“

Seit Jahresbeginn beobachtet Meyer aber zunehmend, dass für potentielle Windmüller ungünstige Bebauungspläne das Plazet der Lüneburger Mittelbehörde finden. „Plötzlich finden sich in den genehmigten Plänen Bestimmungen, wonach die Fläche mindestens zehn Hektar groß sein oder der Abstand der Windturbinen zur Wohnbebauung mindestens fünf Kilometer betragen muss.“ Genau diese Anforderungen galten bisher für die Aufstellung von Windparks mit mehr als sechs Anlagen. „Diese Interpretation läuft darauf hinaus, dass sich bei uns die Landkreise gegenseitig ihre geeigneten Flächen ausschließen.“ Auch in Sachsen lässt das Durchstarten für neue Windprojekte auf sich warten. „Im Freistaat ist noch nicht einmal die Regionalplanung abgeschlossen“, weiß Hermann Lanwermeyer, der in Sachsen mehrere Windkraftprojekte plant. Mehr noch: Er kennt ein halbes Dutzend Kommunen, die das gesamte Verfahren für den Bebauungsplan neu aufrollen, was „auf eine Zeitverzögerung hinausläuft“.

Dass die Privilegierung von Windturbinen trotz des neuen Baurechts noch keine Selbstverständlichkeit ist, erfährt auch Jann Berghaus. „Nach unseren Schätzungen gibt es für ein Drittel aller Gemeinden keine Planung von Sondergebieten, so dass dort die Privilegierung uneingeschränkt gilt“, skizziert der Auricher Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Der Wermutstropfen: „Diese Situation finden wir jedoch gerade in den Gemeinden, die für die Windnutzung nicht so interessant sind.“

Das Gros der Kommunen hat in aller Regel Sondergebiete für Windturbinen ausgewiesen, um, so Berghaus, „die Privilegierung für das gesamte Gemeindegebiet zu verhindern, womit jetzt noch nicht einmal in allen Sondergebieten gebaut werden kann“. Ein erheblicher Teil dieser Kommunalverwaltungen erlässt deshalb gerade Veränderungssperren.

Ein kleines Trostpflaster hat Berghaus für die Windmüller parat: „Diese Sperren können nur parallel zu einem Bebauungsplanaufstellungsbeschluss gefasst werden, so dass die Gemeinden auch tatsächlich eine konkrete Bauleitplanung in den Vorranggebieten anpacken müssen.“ Rechtlich ist dieses Vorgehen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig: Es muss ein städtebauliches Bedürfnis, so das Juristendeutsch, für diese zusätzliche konkrete Planung bestehen. Um Windkraftanlagen zu verhindern oder „Zeit zu schinden“, darf kein Bebauungsplanaufstellungsbeschluss gefasst und keine Veränderungssperre erlassen werden. In vielen Fällen werden die potentiellen Windmüller nicht darum herumkommen, so Berghaus' Einschätzung, auf Erteilung einer Baugenehmigung trotz der beschlossenen Veränderungssperre zu klagen. Verzögerungen sind also programmiert. Für Jann Berghaus zeigen sich jetzt die Tücken des „verwässerten Kompromisses“ mit der zweijährigen Übergangsfrist: „Die Situation, wie wir sie heute erleben, war bei den Beratungen für die Baurechtsnovelle vorhersehbar.“

Eine Mitschuld der Politik an der jetzigen Situation sieht auch Hucky Heck, Geschäftsführer der Tandem Investitions- und Beteiligungsgesellschaft für ökologische Projekte mbH aus Bremen: „Wenn die Kommunen neue Flächennutzungspläne erstellen sollen, dann müssen die Landesregierungen auch die entsprechenden Gelder zur Verfügung stellen.“ Insbesondere in Ostdeutschland fühlten sich nach Hecks Erfahrungen die Rathäuser mit der Aufstellung neuer F-Pläne „schlichtweg überfordert“. Überfordert sieht sich auch Rainer Kottkamp, Referatsleiter Energiewirtschaft im niedersächsischen Wirtschaftsministerium, in lokale Baurechtsprobleme einzugreifen: „Wir greifen wohl ein, wenn beispielsweise der Landkreis Rotenburg die Masthöhe generell auf 50 Meter festlegen will, aber die einzelnen B-Pläne obliegen den Kommunen.“

Dirk Jesaitis ist damit nicht geholfen. Neuerdings hat er auch Ärger auf Rügen. Trotz eines wirksamen Bebauungsplanes verweigert ihm die Gemeinde Wiek die Baugenehmigung. Auch hier landete der Fall vor den Gerichten. Jesaitis: „Auf Kosten der Steuerzahler werden von Beamten Recht und Gesetz mit Füßen getreten.“ Ralf Köpke