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■ Zen oder die Kunst, eine Baustelle zu lieben: „Mein“ Expo-Projekt Untere Schlachte

Er kam vom Wasserwirtschaftsamt. „Guten Tag, ich komme vom Wasserwirtschaftsamt“, sagte der Mann vom Wasserwirtschaftsamt. Mit umgehängtem Fotoapparat und einem Papierhalter aus Hartkarton in der Hand inspizierte er das Büro. „Ich dokumentiere die Altschäden“, sagte der Mann vom Wasserwirtschaftsamt. In wenigen Wochen nämlich sollte es losgehen mit den Bauarbeiten an der Unteren Schlachte (Expo-Projekt!). Und damit dem Wasserwirtschaftsamt kein alter Setzriss als neuer Rammschaden untergejubelt würde, hat der Mann alles vorher dokumentiert. Gründlich sind sie, die Männer vom Wasserwirtschaftsamt. Nur für den ursprünglichen Zustand meiner aufgerissenen Stirnfalten, die ich gut zwei Jahre lang mit der Baustelle leben musste, haben sie sich nicht interessiert. Huhuu, Mann vom Wasserwirtschaftsamt: Die Baustelle hat mein Leben verändert.

Im Gegensatz zu den Einheimischen und TouristInnen, die sich in zunehmender Zahl über die Mauer lehnten und den Fortschritt der Baustelle bestaunten, hatte ich in den letzten zwei Jahren nämlich einen Logenplatz. Aus dem vierten Stockwerk konnte ich Tag für Tag und manchmal auch nachts auf das Geschehen sehen und hatte sogar Freude daran, wenn nichts geschah. Während sich am Anfang kaum jemand außer mir für die Baustelle interessierte, interessierte ich mich nämlich auch dafür, wenn nichts geschah oder besser, wenn seltsame Dinge geschahen. Ich rief dann: „Ey, guck mal ...“, und meine MitarbeiterInnen liefen im Lauf der Zeit Kilometer um Schreibtische herum, um der Empfehlung Folge zu leisten.

Gegen Ende der Bauzeit, also in diesem Sommer, spitzten sich die Ereignisse dramatisch zu. Binnenschiffe und Bagger kamen, und ihre Insassen gingen rätselhaften Tätigkeiten nach. Erst baggerten sie Sand aus der Weser und verluden ihn in die Schiffe. Ich rief: „Ey, guck mal!“ Dann luden sie aus anderen Schiffen Steine und schmissen sie in die Weser. Wieder rief ich: „Ey, guck mal!“ Wenig später wiederum baggerten sie Steine aus der Weser und warfen groben Sand auf den Flussgrund. Erneut rief ich: „Ey, guck mal!“ und gab zu bedenken: „Der Sisyphos ist Günter Grass Lieblingsgestalt – meine jedoch ist Baggerführer Willibald.“

Obwohl der Mann vom polizeiboot-ähnlichen Schiff auch nicht schlecht war. Wochenlang fuhr er quer zur Strömung unter der Wilhelm-Kaisen-Brücke herum und gab Rätsel auf. Mit dem Bug rammte oder touchierte er die Pfeiler, als wollte er die Standfestigkeit der Brücke testen. Das war lieb von ihm. Denn wäre sie eingestürzt, hätten die Binnenschiffer rechtzeitig anhalten können.

Nach dem Bau der Spundwand (Für NeubremerInnen aus Süddeutschland, also der Gegend südlich von Syke: Eine Spundwand ist eine Wand aus riffeligen, tief in den Boden gerammten Metalllamellen) geschah wochenlang nichts. Das spricht für die typisch norddeutsche Seelenruhe (und hat mit dem Hochwasserschutz zu tun, wie der Mann vom Wasserwirtschaftsamt ergänzen würde). Ich rief in dieser Zeit nur zum Spaß: „Ey, guck mal!“ Was dazu führte, dass meine MitarbeiterInnen das Interesse verloren. So hatte ich die Baustelle ganz für mich allein. Erst als das Fischgrätmuster gepflastert und die Duckdalben (genauer: Dückdalben) für den Ponton (einfacher: Anleger) in die Weser gerammt wurden, wachten sie wieder auf und sagten plötzlich selbst: „Ey, guck mal!“

Und sie legten die Stirn in Falten. Und machten schmerzverzerrte Gesichter. Für manche Menschen ist das Rammen einer Spundwand eine schmerzhafte Sache. Doch es ist noch gar nichts gegen das Rammen von Dückdalben. Und das wiederum ist gar nichts gegen das Rütteln einer Walze, das die Tassen auf dem Tisch tanzen lässt. Ich aber habe mir gesagt: „Habe keinen Schmerz! Lerne Zen! Liebe das Rammen und Rütteln wie Dich selbst!“ Meine MitarbeiterInnen wollten nicht darauf hören und sind in den Jahren ergraut. Ich aber begrüße jeden neu gesetzten Marmorpoller mit „Ey, guck mal.“ Lieber Mann vom Wasserwirtschaftsamt, wann kommen Sie wieder, die Rammschäden zu katalogisieren?

Christoph Köster