Die CDU missbraucht das Wahlgesetz

■  Die Union ruft die Wähler zur vorgezogenen Briefwahl auf, um von ihrem Stimmungshoch zu profitieren. SPD, Grüne und PDS kritisieren die Kampagne. Beim Landeswahlleiter gibt es verfassungsrechtliche Bedenken

SPD, Grüne und PDS haben der CDU eine missbräuchliche Ausnutzung des Wahlgesetzes vorgeworfen. Die Ursache: Die CDU ruft Wähler mit einem Flyer auf, die Möglichkeit einer vorgezogenen Stimmabgabe per Briefwahl zu nutzen und dabei CDU zu wählen. Mit der offensiven Kampagne wollen die Christdemokraten die Wahlberechtigten darauf hinweisen, dass sie seit dem 2. September bei Vorlage ihres Personalausweises in ihrem Bezirksamt vorzeitig wählen können, erläuterte gestern CDU-Sprecher Matthias Wambach. Der Gesetzgeber hat die Briefwahl jedoch geschaffen, um gebrechlichen Personen und Reisenden die Stimmabgabe zu ermöglichen. Der Wahltermin ist erst am 10. Oktober.

Der Chef des Wahlleiterbüros, Horst Schmollinger, hat gestern verfassungsrechtliche Bedenken gegen den CDU-Aufruf angemeldet: „Wir müssen darauf achten, dass die Wahl vor allem am Wahltag stattfindet.“ Der CDU-Aufruf dürfe nicht die Form einer übertriebenen Briefwahl-Werbung annehmen. Diese sei 1981 vom Bundesverfassungsgericht beanstandet worden.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hans-Georg Lorenz, teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber lege schließlich einen festen Wahltermin fest, damit keine Partei durch einen für sie günstigen Wahltermin Vorteile erlangen könne. „Die CDU befürchtet offenbar einen Meinungsumschwung“, sagte Lorenz zu den Motiven der Kampagne. Den CDU-Aufruf selbst nahm er gelassen: „Es ist nicht anzunehmen, dass die Kampagne auf ein so großes Echo stößt.“

Ebenso wie Lorenz sprach auch der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, von einer „missbräuchlichen Ausnutzung einer gesetzlichen Möglichkeit“. Bis zum Wahltermin in fünf Wochen könne noch viel passieren. „Im Nachhinein sagt sich der Wähler, wenn ich das damals gewusst hätte, hätte ich anders gewählt“, sagte Wieland. Als Beispiel nannte er die Barschel-Engholm-Affäre, die dem schleswig-holsteinischen Wahlkampf 1987 eine entscheidende Wendung gab. Die CDU verlor die Wahl, nachdem aufflog, dass sie SPD-Kandidat Björn Engholm bespitzelt hatte. Wieland sagte, die CDU-Kampagne enthalte ein „unfaires Moment“. Die CDU wolle offenbar ihr Stimmungshoch sofort in Stimmen umwandeln. Derzeit liegt die CDU bei 39 Prozent. Doch offenbar herrsche Mißtrauen, ob das bis zum Wahltag anhalte.

Auch der PDS-Fraktionsvorsitzende Harald Wolf meinte: „Die CDU ist offenbar der Ansicht, dass die Stimmung für sie nur schlechter und nicht besser werden kann.“ Die CDU pervertiere mit ihrer Aktion die Absicht des Gesetzes.

Wieland sah allerdings keine Möglichkeit, rechtlich gegen die CDU vorzugehen. „Wenn ein Gesetz missbräuchlich angewendet werden kann, muss der Gesetzgeber es präzisieren.“ Wieland schlug vor, die Frist der vorzeitigen Stimmabgabe von fast sechs auf zwei Wochen zu verkürzen. Zudem sollten diejenigen, die von der Ausnahme Gebrauch machen, Gründe wie Krankheit oder Reisen angeben müssen. Für eine derartige Änderung sprachen sich auch Lorenz und Wolf aus.

CDU-Sprecher Wambach verwies darauf, dass bei der letzten Änderung des Wahlgesetzes die Angabe von Gründen (Krankheit oder Abwesenheit am Wahltag) gestrichen worden sei. Die CDU-Aktion sei „völlig gesetzeskonform“. Die CDU habe dies auch von der Senatsinnenverwaltung prüfen lassen. Wambach: „Wir werden die Aktion unbeirrt fortführen.“ Dorothee Winden