Pieksen im Heu

■  Medienkontrolle kann interessant sein! Jedenfalls wenn sie uns vorrechnet, was z. B. bei Pro7 drin ist, wenn „Information“ draufsteht

Im Fernseher ist Technik drin. Aber was ist im Fernsehen? Es war für die lärmenden Aussteller der gestern zu Ende gegangenen Berliner Funkausstellung schon schwierig genug, die sensuell überforderten Massen für ihre superflachen, flimmerfreien Flimmerkisten zu interessieren.

Doch was, wenn zur selben Zeit nebenan im Krogresszentrum ICC anlässlich der Präsentation des „2. ALM-Programmberichts zur Lage und Entwicklung des Fernsehens in Deutschland 1998/1999“ angegraute Männer auf dem Podium saßen, die als „Norbert Schneider, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM)“ oder „Wolf-Dieter Ring, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der Gemeinsamen Stelle Jugendschutz und Programm“ vorgestellt wurden? (Macht es die Sache interessanter, wenn man weiß, dass Herr Ring schon mal Gast in einer „Arabella“-Talkshow war?)

Es hilft nichts: Die Medienkontrolleure sind ebenso in die Jahre gekommen wie ihre Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM). Viel zu kontrollieren haben die Herren nicht mehr, da ohnehin fast alles erlaubt ist. „Wir können nicht im Heuhaufen die Nadel suchen“, resignierte denn auch Schneider angesichts der rund 30 öffentlich-rechtlichen und privaten TV-Anbieter. „Aber,“ so machte sich der DLM-Vorsitzende gleich darauf Mut, „wir haben die Nadel.“ Mit der aber speziell die TV-Aufsicht nicht mehr tun kann, als ein wenig hilflos im tumben Heu herumzupieken.

An diesem Tag heißt die Nadel der ALM Hans-Jürgen Weiß. Er ist Kommunikationsforscher an der Berliner FU und betreibt gemeinsam mit der Uni Göttingen eine kleines Institut, das für den „Programmbericht“ über zwei Jahre hinweg ferngesehen hat.

Kein leichtes Unterfangen angesichts über 500.000 Stunden Sendezeit. Bei einem gewöhnlichen Acht-Stunden-Arbeitstag wäre ein Mensch damit bis weit über das Jahr 2239 hinaus beschäftigt – bzw. allein ein gutes halbes Jahr mit dem Angucken einer einzigen Woche der 1998/99 berücksichtigten acht Vollprogramme. Und weil das (sagen wir: verteilt auf sieben studentische Hilfskräfte) schon machbarer klingt, wurde es auch so ähnlich gemacht: Zwei Mal pro Jahr wurden siebentägige Stichproben (von ARD, ZDF, RTL, Sat.1, Pro7, Vox, RTL 2 und Kabel 1) minutiös aufgezeichnet, angeschaut und analysiert. Aus den Prozentanteilen und Sendeminuten wurden Profile und Tendenzen – und ein 350 Seiten dickes Buch (Ullstein Verlag, 48 Mark), dessen Herzstück der 17-seitige „Werkstattbericht“ des Forschers und 36 Seiten Tabellen sind.

Und die sind interessanter, als es klingt – jedenfalls, wenn man das TV-Gerät nicht nur für „Käpt'n Blaubär“ oder die 19-Uhr-Soap oder die 19-Uhr-Nachrichten einschaltet. Oder hätten Sie z. B. geahnt, dass bei Vox täglich nicht mal neun Stunden des Programms erstmals auf der Bildfläche erscheinen (während es bei der ARD mehr als doppelt so viele sind)? Oder dass sich das ZDF während der Aprilstichprobe fünfeinhalb Stunden pro Tag mit dem Kosovo befasste, Sat.1 hingegen gerade mal vier Minuten? Dass andererseits aber bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ebenso wie bei den kommerziellen die fiktionalen Formate wie Kinofilme, TV-Movies, Serien die meiste Sendezeit einnehmen? (70 Prozent bei Kabel 1, aber immerhin noch ein sattes Drittel beim ZDF, das damit auch nicht weniger Fiction zeigt als RTL.)

Das interessanteste Ergebnis der Studie ist allerdings nichts Neues: „Es ist nicht nur die Talkshow!“, warnte Weiß, zuständig für den Untergang des televisionellen Abendlands sei nicht allein die geschmähte Sendeform. Seine Forschung hat gezeigt, dass formale Formatzuschreibungen wie „Information“ oder „Unterhaltung wenig taugen. Wo „Reportage“ oder „Magazin“ draufsteht, ist häufig bloß „Human Touch“ drin – also „Zerstreuungs- und Angstthemen“, sprich: Irrelevantes wie Promis, Sex & Crime. (In den Magazinen von RTL und Sat.1 sind's über 40, bei Pro7 und RTL 2 sogar über 50 Prozent, und selbst beim ZDF hat sich der Anteil in den letzten zwei Jahren auf immerhin 13 Prozent verdoppelt.)

„Fernsehen ist noch schlechter als sein Ruf“, könnte da die kulturpessimistische Quintessenz lauten – als wäre das inzwischen noch etwas Schlimmes. Fernsehen ist ein Medium, ist preiswert, zu Hause, bunte Bilder. Und wenn das so weitergeht, ist es zukünftig eben nicht nur eine Selbstverständlichkeit, dass der Bildschirm superflach ist. Christoph Schultheis