Eingeschränkte Klimaverbesserung

EU-Außenminister geben Aufbauhilfe an die Türkei frei. Griechenland rückt nur teilweise von seinem Veto ab. Angst der Regierung vor den „Türkenfressern“ der verschiedenen Lager    ■ Von Niels Kadritzke

Berlin (taz) – Auf ihrem Treffen im nordfinnischen Saariselkä an diesem Wochenende befürworteten die EU-Außenminister die Freigabe von 150 Millionen Euro, die der Türkei aus bislang blockierten Mitteln ausbezahlt werden sollen. Außerdem stellten sie 25 bis 30 Millionen Euro an Erdbebenhilfe in Aussicht. Der türkische Außenminister Cem wurde zur außerplanmäßigen Außenministerkonferenz am nächsten Wochenende in Brüssel eingeladen. Die EU-Vertreter in Saariselkä erörterten eingehend die Sanktionen gegen Jugoslawien und den Stand des EU-Erweiterungsprozesses. Hauptthema waren jedoch die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei, denn die Außenminister hatten über die Erdbebenhilfe zu befinden. Die „substantielle Verbesserung“ im Verhältnis zur Türkei, von der Bundesaußenminister Joschka Fischer sprach, ist damit als unmittelbare Folge der Katastrophe am Marmarameer anzusehen.

Das gilt auch für die türkisch-griechischen Beziehungen. Wie ein Sprecher der EU-Kommission unterstrich, hat auch Griechenland der Freigabe der Finanzmittel zugestimmt und damit seine bisherige Blockadepolitik aufgegeben. Das stimmt freilich nicht ganz, denn Athen hält sein prinzipielles Veto aufrecht. Dieses Veto war eine Reaktion auf die türkischen Gebietsansprüche in der Ägäis, die Anfang 1996 in der sogenannten Imia-Krise deutlich wurden.

Seitdem blockiert Athen den finanziellen Teil des Zollunions-Abkommens mit Ankara in Höhe von immerhin 375 Millionen Euro. Die Griechen hatten der Zollunion selbst zugestimmt, nachdem die EU als Gegenleistung die Republik Zypern als Kandidatenstaat in die erste Erweiterungsrunde aufgenommen hatte. Aus Sicht der EU-Partner bedeutet das griechische Veto, dass die Griechen ihren Teil des damaligen Deals nicht einhalten wollen.

Das griechische Außenministerium versucht seit einiger Zeit, die Rolle des Störenfrieds loszuwerden, die ihr nicht nur von Ankara, sondern auch von den meisten ihrer EU-Partner zugeschrieben wird. Ein Verzicht auf das Veto provoziert freilich immer die Opposition der „Türkenfresser“, die in allen griechischen Parteien vertreten sind. Die haben sich neuerdings auf Giorgos Papandreou eingeschossen, der im Februar 1999 im Gefolge der Öcalan-Krise zum Außenminister aufgerückt ist. Der Sohn des verstorbenen Pasok-Gründers gilt in diesen Kreisen nicht nur als „Türkenfreund“ sondern – trotz seines schützenden Familiennamens – auch als Befehlsempfänger der westlichen Bündnispartner. Populistische, der Rechten nahe stehende Zeitungen apostrophieren ihn daher als „den US-Staatsbürger Giorgos Papandreou“. Auch der frühere Außenminister Theodor Pangalos hat letzte Woche den Verdacht geäußert, sein Amtsnachfolger wolle griechische Interessen aufgeben.

Die Regierung Simitis kann umstrittene nationale Themen nur anpacken, wenn die Opposition zumindest stillzuhalten bereit ist. Doch untergründig läuft bereits der Wahlkampf, obwohl der früheste Termin für die Parlamentswahlen im April 2000 liegt. Da die konservative Oppositionspartei ND mit dem Veto-Thema Stimmung machen will, hat in der Regierung Simitis heute niemand Lust, die Frage grundsätzlich anzupacken. Papandreou hatte deshalb vor der EU-Konferenz vorgeschlagen, angesichts der großen Solidarität der griechischen Bevölkerung für die Erdbebenopfer alle der Türkei zustehenden Gelder aus Brüssel in ein Hilfsprogramm zu packen. Damit wäre die Frage des Vetos gar nicht erst aufgekommen. Die jetzt gefassten Beschlüsse der EU-Außenminister fordern die griechische Regierung deshalb indirekt auf, ihre Haltung prinzipiell zu überprüfen.

Für einen endgültigen Verzicht auf das griechische Veto erwarten Papandreou und seine Berater nach wie vor politische Gegenleistungen, vor allem im Hinblick auf den Ägäis-Konflikt und eine Lösung des Zypern-Problems. Konzessionen von türkischer Seite sind allerdings auch nach dem Erdbeben nicht zu erwarten, zumal in Ankara eine Koalition reagiert, in der mit Bülent Ecevit und der rassistischen MHP Kräfte den Ton angeben, die voll auf der harten Linie des türkischen Militärs liegen. Deshalb würde sich die griechische Seite wohl mit einer Deklaration der EU-Partner zufrieden geben, die man innenpolitisch als politische Garantie der Ägäis-Grenze verkaufen könnte. Noch willkommener wäre die Aussage, dass Zypern auch dann der EU beitreten kann, wenn die Türkei sich weigert, an der Überwindung der Teilung mitzuwirken.

Das neue Verhältnis, das die EU zu ihrem Zollunionspartner Türkei anstrebt, muss allerdings noch vom Europäischen Parlament gebilligt werden. Dieses hat jedoch in der Frage einer türkischen Kandidatur für die volle EU-Mitgliedschaft ähnliche Vorbehalte artikuliert wie die Athener Regierung. In Athen geht man allerdings davon aus, dass die Regierung Simitis kein Veto mehr einlegen würde, wenn die Türkei auf einem der nächste EU-Gipfel eine Aufwertung zum seriösen Beitrittskandidaten erführe. In Athen wird man nur darauf dringen, dass die entsprechenden Anforderungen an die türkische Demokratie eindeutig formuliert werden. Wenn diese Voraussetzungen von Ankara erfüllt werden, hätte Griechenland gegen einen EU-Partner Türkei weit weniger Bedenken als die meisten anderen Partner. Denn ein EU-Mitglied Türkei wäre automatisch auf internationale Rechtsgrundsätze verpflichtet, die expansionistische Ansprüche der türkischen Militärs in der Ägäis-Region schlicht verbieten würden.