Rote Fahnen, blutgefärbt

Seltsames Paar, aber toll: Das „Osaka in Hamburg“-Programm im Metropolis zwischen Melodram und Polit-Punk  ■ Von Olav Möller

Osaka hatte historisch das Pech, hinter Kyoto, der alten, und Tokyo, der neuen Kaiserstadt, die ewige Nummer drei der japanischen Kultur- und Handelszentren zu sein. Das liegt daran, dass Osaka erst mit dem Aufkommen der Kaufleute in der japanischen Klassengesellschaft zu größerer Bedeutung gelangte. Auch in der japanischen Filmgeschichte spielte Osaka nur eine untergeordnete Rolle.

Will man deshalb die Filmstadt Osaka repräsentieren, wie das Metropolis es im Rahmen des zehnjährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft der beiden Metropolen tut, zwingt das zu einer etwas seltsamen, wenn auch am Ende seltsam überwältigenden Konstruktion. Deren „Gelenk“ ist, passenderweise, mit Kazuyoshi Kumakiris Kichiku. Dai enkai/Die Unmenschlichkeit. Das große Besäufnis (1997) ein sprituell-intellektueller Splatter-Film – und ganz sicher eines der verstörendsten und großartigsten Werke dieser Dekade.

Erzählt wird die Geschichte einer revolutionären Zelle der japanischen Studentenbewegung der 70er Jahre und wie sich diese Gruppe selbst blutigst zerstört: Tanz der Teufel goes Agitp(r)op. Nun sollte man nicht glauben, Kumakiris erster, im Rahmen seines Studiums an der Kunsthochschule Osaka entstandener Langfilm sei rechts-revanchistischer Unfug: Er rekurriert äußerst geschickt auf einige selbstkritische Filme aus dem Umfeld der Studentenbewegung jener Jahre, am offensichtlichsten auf Masao Adachis Seiyugi/Sexspiele (1968) (kurz: Studenten zwischen Links- und Rechtsextremismus – alles gleich, besser man vögelt) und Toshio Matsumotos Shura/Die buddhistische Hölle (1971), in dem man erfährt, dass der Weg des Menschen ausschließlich und immer ins Leiden und Verderben führt. Zugegeben: Die politische Dimension dieses Films ist für manchen Westler vielleicht kaum nachvollziehbar - das Großartige an Kichiku. Dai enkai aber ist seine Vielschichtigkeit, mit der er Zuschauer auf den verschiedensten Ebenen anzusprechen vermag.

Zeitsprung, zurück in die 30er Jahre, als sich in Japan so was wie eine proletarische Bewegung formte: Shigeyoshi Suzukis Nani ga kanojo o sosaseta ka/Warum tat sie es? (1930), der hier als Das Mädchen Sumiko firmiert, ist eines der Meisterwerke des Keiko Eiga. Diese japanischen „Tendenzfilme“ gab es nur für kurze Zeit: Das erste wichtige Werk des „Genre“ entstand im Jahre 1929, das letzte knapp zwei Jahre später. Die meisten Regisseure dieser linksproletarisch gesonnenen Filme machten sich dann an eher staatspolitisch wertvolle Arbeiten, so auch Suzuki, der unter anderem für den im besetzten Peking entstandenen Propagandafilm Toyo heiwa no michi/Der Weg zum großasiatischen Frieden verantwortlich zeichnet. Das „Proletariat“ war ein Fähnchen im politischen Wind, ein neues Wort für eine alte Dynamik, die mit der hinter diesem Ausdruck stehenden Idee nur wenig zu tun hatte: Wenn man sich in Japan auf westliche Philosophien und Theorien bezieht, sind stets die eigenen Versionen dieser Konzepte gemeint. So ist auch Nani ga kanojo o sosaseta ka eigentlich ein ganz klassisches, im besten Sinne volkstümliches Melodram über ein vom Leben gebeuteltes Mädchen, das sich für all das ihr angetane Unrecht an der Gesellschaft rächt.

Was die Keiko Eiga in ihrer Zeit so modern und fortschrittlich wirken ließ, war ihre Inszenierung: Suzuki etwa ließ sich von den Werken Man Rays und Germain Dulacs inspirieren, bei Uchida hingegen sah man den Einfluss von Marcel L'Herbier. Die besten Beispiele des Keiko Eiga formen so etwas wie eine japanische Avantgarde, die es als eigenständige Bewegung damals nicht gab. Was man aus diesem seltsamen Paar Kichiku. Dai enkai und Nani ga kanojo o sosaseta ka lernen kann, ist, wie nachdrücklich im japanischen Kino Politik eine Frage der Inszenierung ist.

Dienstag, 7.9 ., 17 Uhr: Bunraku-Theater im Film; 19 Uhr: Kurzfilme von Studenten aus Osaka (Programm 1); 21 Uhr: Kichiku (OmU);

Mittwoch 8.9 , 17 Uhr: Bunraku-Theater im Film; 19 Uhr: Kurzfilme von Studenten aus Osaka (Programm 2), 21 Uhr: Das Mädchen Sumiko (Klavier: G. A. Buchwald)