Pompeji überall

■ Elf MeisterschülerInnen der Hochschule für Künste zeigen in der Städtischen Galerie Arbeiten fürs dritte Jahrtausend

1999 – Anlass genug, die Zeit in starke Metaphern zu kleiden. Ein „vulkanisches Jahrhundert“ geht zu Ende, schreibt der Direktor der Städtischen Galerie im Buntentor, Hans-Joachim Manske, in seinem Grußwort zur Ausstellung „Meisterstücke“. Eines, das die KünstlerInnen vor die Aufgabe stelle, noch unentdeckte Rezepturen für das dritte Jahrtausend zu finden. Für ein Jahrtausend, so Manske weiter, dessen „Wahrheit“ viel eher in der Kunst als in den Naturwissenschaften zu suchen sei.

Gut gebrüllt. Was bleibt dem Direktor einer Galerie aber auch anderes übrig, als den jüngsten AbsolventInnen der Meisterkurse der Hochschule für Künste (HfK) am Ende eines vulkanischen Jahrhunderts und angesichts eines beinahe ebenso verwüsteten Arbeitsmarktes Mut zu machen und ihnen zum Abschluss seines Grußwortes ein allenfalls leise ironisches „Venceremos!“ zuzurufen.

Nur: Wollen die elf auserwählten, im HfK-Survivallager gestählten KämpferInnen überhaupt obsiegen über das naturwissenschaftlich-ökonomische Kalkül der kommenden 1.000 Jahre? Wollen sie die Kunst auf Trab halten und zu diesem Zweck allmorgendlich „ihren Horizont vor dem Frühstück um 360 Grad drehen“ (Manske)? Oder ist dies nur der stille Wunsch eines Galeriedirektors, dessen Generation sich einst sehnsuchtsvoll und im XXL-Format nach dem „ganz Anderen“ verzehrte und nun inmitten einer Welt leben muss, in der Bedürfnisse bloß noch in den Grenzen der industriellen Produktpaletten ausgebildet werden? Fragen über Fragen, auf die die Ausstellung „Meisterstücke“ keine sehr klaren Antworten gibt.

So viel aber doch: Am Ende des vulkanischen Jahrhunderts dominiert bergseetiefe Bescheidenheit. Schamlose Provokationen, quälende Seelenstrips, gewagte Entwürfe, abenteuerliche Fiktionen – all das war, zugegeben, schon mehr als einmal da, und nichts davon findet sich in der Städtischen Galerie. Statt dessen dominieren in den meisten Arbeiten formal wie inhaltlich traditionelle Themen, allenfalls bereichert um die ein oder andere zurückhaltend gesetzte neue Wendung. Ob in Ilze Orinskas ansprechendem, selbstironischem Versuch, mit „Porträts“ von Äpfeln und Pflanzen die Malerei gegen ihre omnipräsenten Totengräber zu verteidigen, oder in Kirsten Brünjes' Bestreben, die Welt der Erscheinungen um einige sehenswert skurrile Wesen mehr zu bereichern und dabei den verwendeten Materialien Keramik, Kunststoff oder Ton ungeahnte Seiten abzugewinnen – zumeist sind die Tore weit geöffnet, die diese Werke im Kopf des Betrachtenden immer noch aufzustoßen suchen.

Zwar gelingt Elke Petzel in ihren großformatigen Bildern die Umsetzung von Bewegung und Emotion in Farbe. Und ebenso wenig scheitert Heike Walters Installation aus Plastikfolien, Haushaltstüchern und Glasplatten daran, die bohrenden Selbstzweifel einer Künstlerin angesichts der eigenen Tätigkeit in ein konsistentes Bild zu bringen. Doch der implizite Versuch, die stumpfen Sinne zu schärfen, auf dass die Welt – 360 Grad gewendet – neu, anders, absurd, wundervoll oder sonstwie wahrgenommen werde, läuft auch hier in eine eigentümliche Leere. Auch Herwig Gil-lerkes etwas eitle Arbeit „The stars look very different TODAY“, der die Leiche „Pop Art“ mit Fotomontagen und selbstgemalten Polaroids zum x-ten Mal ums Leben bringt, vermag diesen Eindruck nicht zu korrigieren. Wie Gillerke auf zahlreichen Bildern bunt das facettenreiche „Ich“ gegen seinen Untergang in der Massenkultur zu feiern, triumphiert zu billig über die unbeantwortete Frage, wovon eigentlich noch die Rede ist, wenn wir „Ich“ sagen.

Doch womöglich verlangt zu viel, wer Antworten auf die fundamentalsten Fragen der Philosophie einklagt. Und in der Tat regt schon an, wer antwortlos daran erinnert, dass diese und andere Fragen einer Antwort harren. So wie es Karen Scheper gelingt, mit ihrer fotografischen Hommage an den russischen Avantgardekünstler Vladimir Tatlin (1885-1953) daran zu erinnern, dass die Idee einer Kunst, die sich radikal in den Dienst einer Neuerschaffung der sozialen Welt stellt und dabei selbst das „Erstgeschirr für Säuglinge“ mitbedenkt, noch uneingelöst ist. Und auch Maike Hartwigs Arbeiten ist die Erinnerung an den subversiven Charme der Kunst eigen. Ihre eigenmächtige Aneignung tradierter Symbole und deren konsequente Überführung in einen neuen Sinnzusammenhang, wie es Hartwig diesmal am Beispiel eines sakralen Kunstwerks demonstriert, zeugt vom Glauben an das freie künstlerische Tun, dem die phantasielose Wirklichkeit kein Einhalt gebieten kann.

Doch alles in allem: Eine stille Ratlosigkeit bleibt nach dem Gang durch die „Meisterstücke“ zurück. Vielleicht, weil man ganz anderes erwartet hat? Wahrscheinlicher, weil man genau damit rechnen konnte am Ende eines vulkanischen Jahrhunderts. Den „großen Erzählungen“ sind nunmal die ErzählerInnen ausgegangen. Und das bleibt vorerst auch so. Trotzdem: Venceremos? Man sollte die Hoffnung zumindest nicht aufgeben. Nicht wahr, Genosse Manske?

Franco Zotta

„Meisterstücke“: bis zum 26. September in der Städtischen Galerie am Buntentor. Zeitgleich zeigt die Städtische Galerie anlässlich seines 60. Geburtstages eine Ausstellung mit Arbeiten des Bremer Künstlers Manfred Kiecol. Zu beiden Ausstellungen ist ein Katalog erschienen. Öffnungszeiten: Di u. Do 10-18 Uhr; Mi u. Fr 10-16 Uhr; So 11-16 Uhr. Weitere Infos gibt es unter Tel.: 361 65 67