Pretty in Pink

Spätankunft in Whitney's World, einem bonbonbunten Achtziger-Jahre-Kosmos: Chronik eines (um ein Haar) verpassten Berliner Konzerts  ■   Von Daniel Bax

Zu spät für Whitney. Konzertbeginn 20 Uhr hieß es zwar, aber die alte Rock 'n' Roll-Faustregel versprach doch eine gute Stunde Spielraum. Leider kennt Whitney Houston diese Rock' n' Roll-Regel nicht, und so begann sie pünktlich, kurz nach acht, mit ihrem Konzert in der Berliner Waldbühne, ohne mich.

Dumpf rumste der Rhythmus im dunklen Forst und wies die Richtung zum Waldbühnen-Eingang. Nur ein Haufen verlorener Gestalten lümmelte noch dort, von einem mindestens ebenso großen Haufen gelangweilter Security-Funker in Schach gehalten. Am Seiteneingang hatten es sich zwei Berliner Muttis an einem Campingtisch bequem gemacht und kontrollierten die Gästeliste, auf der sich nach ewigen Sekunden mein Name fand – der aber dummerweise schon durchgestrichen war (Wer immer das war, kann was erleben!). Und auf so einen Kasper wie mich, der sich noch nicht einmal ausweisen konnte, hatten die beiden Matronen gerade noch gewartet: „Nee, junger Mann, wenn Se nich mal nen Führerschein oder was Ähnliches beihaben, könnwa Ihnen ooch nich helfen.“

Ich versuchte es abwechselnd mit Flehen und Zetern: Vergeblich, ich musste draußen bleiben. Bei den anderen Schnorrern, die sich die Szene mit schadenfrohem Blick angeschaut hatten. Blieb bloß Warten, dass die Tore zum letzten Konzertdrittel geöffnet wurden. Was ist bloß aus den guten alten Konzertstürmern geworden?

Auf einem Whitney-Houston-Konzert wären die allerdings auch fehl am Platz gewesen, denn hier drängelt sich niemand vor. Als zu den ersten Klängen des aktuellen Hits „My love is your love“ endlich das Tor aufging, gesellte die kleine Schar später Gäste sich geräuschlos zu dem ebenso kreuzbrav auf den Rängen gestapelten Publikum, das sich mit Wunderkerzen bei Laune hielt – Gymnasiastinnen mit ihren Großtanten, gesellige Kegelrunden auf Konzertgang und sportive Pärchen im Partnerlook. Die Menge glich der alltäglichen Laufkundschaft des Media Markts oder eines beliebigen anderen Hi-Fi-Elektronik-Großmarkts. Dort, wo man sich eben die neue Whitney-Houston-CD mitnimmt, wenn man sich gerade einen Toaster, ein Mobiltelefon oder ein neues Autoradio mit CD-Wechsler zugelegt hat.

Mit übergroßen Schulterpolstern

Whitney Houston selbst stand derweil auf der Bühne und sang sich mit ihrer unglaublichen Stimme in andere Dimensionen, flankiert von einer beachtlichen Big Band aus Gitarristen, Pianisten und Backgroundchor und umschwänzelt von einer Truppe Tänzer. Sie trug ein bauschiges Jäckchen im Leopardenmuster, mit übergroßen Schulterpolstern. Nach einer Weile machte sie sich davon auf einer erhöhten Rampe, einer Mischung aus Feuertreppe und Laufsteg, und kam in neuem Kostüm zurück, mit einer Art Fingerhut auf dem Kopf. Irgendwie ähnelte sie dabei ihrer Tante Dionne Warwick. Woher ich das weiß? Ich konnte es auf den Leinwänden sehen, die an den beiden Seiten der Bühne aufgespannt waren, und die bei der „Bodyguard“-Ballade „I will always love you“ prompt in einen nostalgischen Schwarzweißton wechselten.

Langer Abschied vom Plastikpop

Ansonsten waren die Protagonisten aus der Entfernung nur in Stecknadelgröße erkennbar und alles in ein zuckersüßes, bonbonbuntes Licht getaucht, das eindeutig an die Achtzigerjahre erinnerte: Pretty in Pink and Purple.

Diese Ära prägt im Grunde bis heute Whitneys Welt. Mitte der Achtziger hatte die gerade 21-Jährige mit „How will I know“ debütiert, einer hinreißenden Mischung aus Disco-Soul und Bubblegum-Pop, und damit begann ihr Durchbruch zur erfolgreichsten Soul-Stimme der Dekade. In diesem Jahr meldete sie sich zurück nach langer Abstinenz, während der sie sich mit Filmrollen und Soundtrack-Songs beschäftigt hielt, mit „My love is your love“, ihrem ersten regulären Album seit neun Jahren.

Die Platte markierte nicht nur den Abschied vom unbeschwerten Plastik-Pop, sondern ist auch ihre bisher beste, überzeugendste. Sie klingt „persönlich“, so als könnte man zwischen den Zeilen erstmals etwas über das Liebesleid der Sängerin erfahren, deren Ehe mit dem zweitklassigen R 'n' B-Star Bobby Brown die Klatschspalten der US-Frauenpresse füllte. Und sie klingt absolut up to date, weil sie sich von Lauryn Hill über Missy Elliot bis hin zu R. Kelly nur mit den angesagtesten Partnern im Black-Music-Business eingelassen hat. Trotzdem wird Whitney Houston wohl nie die gleiche Credibility zugestanden werden wie einer Lauryn Hill, auch wenn ihre musikalischen Modelle so weit auseinander gar nicht sind und die Konvergenz von Hochglanz-HipHop und R 'n' B mit einem Schuss Reality-Faktor beständig voranschreitet.

Die Whitney-Houston-Stammhörerschaft ist von solchen karrieretechnischen Image-Manövern ohnehin unbeeindruckt geblieben. Es ist ein bemerkenswert unhippes Publikum, das sich da in der Waldbühne eingefunden hat, ein Publikum, bei dem ein Tommy-Hilfinger-Sweatshirt schon den Höhepunkt an modischer Extravaganz markiert, und das sich auch nicht beschwert, als nach nur einer Zugabe das grelle Stadionlicht angeht und nach nur neunzig Minuten Schluss ist. Schließlich muss man am nächsten Morgen wieder zur Arbeit oder zur Schule – und Frau Houston weiterziehen. The tour must go on. „Céline Dion hat zwei Stunden gespielt“, vergleicht eine Frau nüchtern das Preis-Leistungs-Verhältnis, immerhin haben die Karten knapp hundert Mark gekostet.

Auf dem Weg zum Ausgang werden großformatige Fan-Hefte verkauft, in denen Whitney Houston auf jedem Foto ein anderes Kostüm trägt. Blättert man sich zu Hause durch die Abbildungen und hört dabei ihre CD, so hat man eigentlich mehr davon, Preis-Leistungs-technisch gesehen. Weitere Termine: 22. 9. Stuttgart, 24. 9. Köln