„Schicken Sie Friedenstruppen!“

In Osttimor gehen die proindonesischen Milizen mit zügelloser Brutalität gegen die Bevölkerung vor. Sie töten und deportieren zahlreiche Menschen  ■   Von Jutta Lietsch

Jakarta (taz) – Bei jedem Anruf in der Don-Bosco-Schule von Dili klingt die Stimme des Paters etwas dünner: Unter den über fünftausend Frauen, Männern und Kindern, die seit Tagen auf dem Gelände ausharren, wächst die Panik. Am Montagmorgen sei eine Gruppe proindonesischer Milizen ans Tor gekommen und habe angekündigt, sie werde bald die Schule stürmen. Plötzlich verschwanden die Polizisten, die wenige Stunden zuvor als Wachschutz eingetroffen waren. „Wir sitzen hier und warten wie die Lämmer auf unser Ende“, sagt der Pater.

Die Osttimoresen bezahlen einen hohen Preis für ihre Hoffnung auf Unabhängigkeit. Seitdem das Ergebnis des UNO-Referendums am Samstag verkündet wurde, bei dem sich 78,5 Prozent für die Trennung von Indonesien entschieden, wird die Lage immer verzweifelter: Unter den Augen der Polizei und des Militärs schießen, zündeln, plündern und morden die proindonesischen Milizen. Weil inzwischen fast alle Journalisten die Insel verlassen haben, gibt es so gut wie keine internationale Medienpräsenz mehr vor Ort.

Nachdem die bewaffneten Banden bereits am Vorabend die Büros der katholischen Diözese in Dili gestürmt hatten, fielen gestern Morgen die letzten Tabus: Die Milizen dringen in die Residenz des Friedensnobelpreisträgers, Bischof Carlos Belo, ein, setzen ein Gebäude in Brand. Schüsse fallen. Tausende Flüchtlinge laufen voller Angst auf die Straßen. Über die Zahl der Opfer ist zunächst nichts bekannt. Polizisten nehmen den unverletzten Bischof Belo mit, setzen ihn in einen Hubschrauber und fliegen ihn in den Ort Baucau zu seinem Amtskollegen Basilio Nascimento.

Die dramatischen Meldungen überschlagen sich: Die von Karmeliterinnen geführte Motael-Klinik wird gestürmt. Vom Grundstück des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz führen Milizen die elf ausländischen Mitarbeiter mit vorgehaltener Pistole ab und bringen sie zur Polizei. Sie sollen später nach Australien ausgeflogen werden. Was mit den einheimischen Mitarbeitern und den 6.000 Flüchtlingen auf dem Grundstück geschieht, ist nicht klar.

Von dem von Milizen umzingelten Gelände des UN-Hauptquartiers werden 200 ausländische Mitarbeiter der UNO-Mission in Osttimor (Unamet) zum Flughafen gebracht und nach Australien evakuiert. Einer der Konvois wird unterwegs von Milizen beschossen. Auch das Auto des australischen Botschafters in Indonesien, John McCarthy, gerät unter Beschuss. Er bleibt unverletzt.

Der Zaun des Jesuitenseminars, in dem mehrere Tausend Flüchtlinge untergeschlüpft sind, hält am Vormittag zunächst den Milizen stand, die Zugang erzwingen wollen. „Wir wissen nicht, wie lange noch“, sagt Pater Albrecht.

Die Terrorkampagne in der Haupstadt und anderen Orten hat seit dem Wochenende eine neue Stufe erreicht. Nachdem zehntausende Osttimor in den letzten Tagen „freiwillig“ verließen, wollen die Milizen nun offenbar eine zweite Flüchtlingsbewegung schaffen: Sie holen die Menschen aus den Kirchen und Schulen, zwingen sie auf Lastwagen und fahren sie in Lager auf der indonesischen Seite der Grenze nach Westtimor. „Sie wollen Osttimor entvölkern“, glauben Mitglieder des „Nationalen Widerstandsrates Osttimors“, der politischen Organisation der Unabhängigkeitsbewegung.

Ihr Chef, Xanana Gusmao, soll am Mittwoch aus dem Hausarrest in Jakarta freigelassen werden. Die Regierung hatte zunächst angekündigt, sie werde ihn umgehend nach Dili bringen. Das könnte sein Todesurteil bedeuten. Australien bot ihm gestern vorübergehend Asyl an.

„Helfen Sie uns doch! Schicken Sie Friedenstruppen!“, flehen Flüchtlinge, Priester und internationale Beobachter vor Ort. „Es ist Zeit für eine internationale Intervention, egal unter welchem Namen“, forderte gestern auch die diplomatische Vertreterin Portugals in Indonesien, Ana Gomes, im Namen ihrer Regierung.

Doch obwohl die Kritik der UNO an Indonesien schärfer wird, hat sich der Sicherheitsrat nur dazu entschlossen, eine diplomatische Delegation nach Jakarta zu schicken, um „über die Verbesserung der Sicherheit in Osttimor“ zu sprechen.