Knüllerig sülziger Superding-Zufall    ■ Dietrich zur Nedden

Ich habe nie mit jemandem darüber gesprochen. Ist auch nicht weiter wichtig, denn es gibt außer mir wahrscheinlich tausende Generationsgenossen, die irgendwann damals so mit sechzehn oder achtzehn übermütig ein bis zwei Stapel ihrer mühsam gesammelten Schallplatten verkauft haben, um mit der Angebeteten nach Frankreich zu trampen.

Und eines Tages stehst du vor deinem Plattenregal und findest das Album nicht mehr, auf dem dieses eine Stück war, dessen Melodie dir heute pausenlos durch den Kopf hüpft. Nehmen wir an, es handelt sich um „My Cup“ von Bob Marley and the Wailers. Nicht dass ich ein Reggae-Fan in dem Sinne bin, dass ich Cannabis für die ultimative Droge hielte, aber trotzdem, das Stück aus der frühen Frühzeit des Rastaman Vibrators, als das karibisch generierte Wummern sogar des Namens Reggae noch entbehrte, wollte ich unbedingt wiederhaben. Nicht nur hören (wo denn überhaupt?), sondern haben=besitzen, vermutlich deswegen, weil ich den simplen Song auf dem Universum-Plattenspieler mit Kristallnadel andauernd abspielte, nachdem die Angebetete nicht mehr von mir angebetet werden wollte. Scheiß Melancholie und der Weg dorthin. „My cup is running over/I don't know what to do“. Es war auf einer Compiläischen-LP, die „Reflection“ hieß, schätzungsweise keine acht Mark fünfundneunzig gekostet hatte, aber – dumm, dumm, dumm – partout nicht mehr zu kriegen war.

Mehrere, wahrscheinlich etwa zwei, Jahrzehnte gingen dahin, in denen ich jenes Stück auf keiner Marley-Zusammenstellung, war sie auch noch so billig, fand. Den Eifer, mit dem ich die Suche praktizierte, als fanatisch zu beschreiben, wäre gewiss übertrieben; ich schrieb nicht an die Marley-Fanclubs dieser Welt, noch fuhr ich nach Jamaica, noch inserierte ich in einschlägigen Magazinen, aber gelegentlich guckte ich doch unter Marley, Bob – nichts zu machen.

Neulich in der Drogerie, die ich wegen des Erwerbs einer Zahnbürste angesteuert und betreten hatte, stand zwischen Pampers und Kondomen ein CD-Regal, und darin eine Bob-Marley-CD-Box. Drei CDs für zwölf fünfundneunzig. Und laut rückseitiger Titelliste war auf der zweiten CD als Stück Nummer elf „My Cup“ drauf: „People, let me cry, cry, cry/People, let me cry, cry, cry/now I feel a little bit better“. Es summte längst in meinen Ohren, der Bass tuckerte behende, der drei- oder vierstimmige Chor war längst da. Jetzt, man kann es sich denken, kommt der Knüller, die Sülze, das Superding und nebenbei auch das, was ich an Zufällen so liebe. Als ich zu Hause die CD hineinschob in das Abspielgerät und die Start-Taste gedrückt hatte, kam als viertes Stück „My Cup“, obwohl auf dem kärglich beschrifteten Cover „Make Up“ als Titel stand. Und als Stück Nummer fünf folgte „My Cup“, obwohl auf dem einsilbigen Cover „I've got to Cry“ stand. Und die versprochene Nummer elf? „My Cup“. Die Unaufmerksamkeit irgendeines Kopisten in irgendeinem Billiglohnland ist schuld daran, dass ich das Stück, nach dem ich mich so lange sehnte, aus Versehen dreimal auf einer CD besitze, die, wenn man die Inflation berücksichtigt, sehr viel weniger gekostet hat als der Träger meiner ursprünglichen Sehnsucht. Schade, dass Bob Marley das nicht mehr miterleben konnte.