Flutsch macht das Kind

Madonnenverehrung oder Dammschnittrealismus? In der Kölner Ausstellung „Macht und Fürsorge“ zeigen Künstler und Künstlerinnen, wie sie sich die Mythen von Mutterschaft, Geburt und Kindsein bis ins hohe Erwachsenenzeitalter vorstellen  ■   Von Elke Buhr

Was von Kollwitz übrig blieb: ein Detail, eine Rundung, ein Körpergefühl, eine Sehnsucht

Für beide Geschlechter – und das ist ausnahmsweise mal gerecht – bedeutet das Mutter-Thema harte Arbeit am Klischee. Zu stark die Tradition der demütigen Mariendarstellungen, zu mächtig die Geschichte der männlichen Schöpfer-Künstler, die sich hingebungsvolle Gebär- und Gefühlstiere gebastelt haben. Mütter malende Männer geraten also in den Ruch künstlerischen Machotums; Frauen dagegen riskieren den freiwilligen Rückfall in die Ursuppe von Bauch, Gefühl und Kindergarten.

Klischees, die die Macher der Ausstellung „Macht und Fürsorge“ über das Bild der Mutter in der zeitgenössischen Kunst zunächst einmal munter weiterführen: Weil Köln so rheinisch freundlich sei, findet hier die Mutter-Schau als erster Teil einer Ausstellungstrilogie mit dem Titel „Kind, Mutter, Vater“ statt – das Kind soll im Oktober in Nürnberg, der Vater aber nächstes Jahr im ach so preußisch zackigen Berlin thematisiert werden.

Mit der Kölner Trinitatiskirche haben die Ausstellungsmacher – Initiator ist das Siemens-Kulturprogramm aus München – allerdings einen schönen Raum für ihre Inszenierungen von Mutterschaft gefunden. Den zentralen Platz hinter dem Altar des hellen, klaren Innenraumes hat Valie Export bekommen.

Sie wählt für ihre Arbeit am Mutterbild die Methode der feministischen Kritik: Ihre „Geburtenmadonna“ und „Strickmadonna“ basieren auf großformatigen Abbildungen von Michelangelos „Pietà“, denen jeweils das Foto einer Hausfrau in Maria-Pose aufmontiert ist. Statt des toten Jesus hält die Leidende einmal eine Strickmaschine in den Armen, das andere Mal gebiert sie eine Waschmaschine. Ein Bildersturm, der in seiner aufdringlichen Deutlichkeit genauso wirkt wie das Design der abgebildeten Haushaltsgeräte: voll Siebziger.

Gegenüber von Valie Exports traurigen Hausfrauen bildet Wolfgang Tillmans' Fotografie „Mami“ den zweiten Pol der Mütterlichkeitsachse, die den Kirchenraum durchschneidet. Überlebensgroß blickt die Fotografen-Mutter in Richtung Altar; eine freundliche Dame mit weißem Kragen und Perlenkette über dem Pullover. Ein bisschen liebevoll, ein bisschen spöttisch, so zeigt der Zeitgeistfotograf Tillmans die Mami im heimischen Garten in Remscheid: Das radikal profanisierte Mutterbild als selbstironisches Eingeständnis der eigenen, unendlich bürgerlichen Herkunft.

Ja, auch Künstler haben Mütter, und allein diese Tatsache scheint den Mythos des schöpferischen Mannes schon stören zu können. So malte Martin Kippenberger ein Ölgemälde der Mutter von Joseph Beuys, um zu zeigen: Auch der große Schamane war ein Mensch und kam aus dem Schoß einer verhärmten Frau aus dem niederrheinischen Flachland.

Beuys selber abstrahierte lieber von den echten Müttern und versinnbildlichte das Mütterlich-Nährende mit Hilfe von Sauerkraut und Honigbienen. Georg Herold wiederum hält sich die eigene Mutter vom Hals, indem er sie in einen umgekehrten Sockel steckt: Schaut man in die Kiste hinein, sieht man ein Foto der fülligen Frau auf einen Durchlauferhitzer geklebt, beleuchtet von einer dampfenden, roten Glühlampe. „Ätna“ heißt das Ganze: Der Künstler blickt, von Kastrationsangst gebeutelt, in den Abgrund des Vulkans und entdeckt dort das Abziehbild eines lächerlichen Küchendrachens. Ohne eine geradezu aggressive Ironie scheinen die Herren Künstler weder das eigene Sohnsein noch ihre Mütter zu ertragen.

Die Frauen dagegen – noch ein Klischee? – hassen die Mütter viel direkter. Von der Australierin Tracey Moffat ist die Fotoserie „Scarred for Life“ zu sehen: fotografische Minidramen mit Bildunterschriften, die von einer traurigen Kindheit erzählen. Und daneben hockt eine der großen schwarzen Spinnen auf dem Boden, anhand derer die Bildhauerin Louise Bourgeois die Mutter ihrer Kindheit in Szene setzt. Doch von Louise Bourgeois sind auch die „Marmelles“ zu sehen; ein Gummirelief, auf dem eine Reihe von Brüsten warm und rund aus einer Spalte hervordrängen.

Die Suche nach der Mutter verliert die Nähe zum Klischee, je basaler das Mütterliche gefasst wird. Für Heather Sheehan zum Beispiel ist es nur noch ein großes, rundes Stoffkissen, das kuschelig aus einem Winkel quillt, und für Ann Hamilton lange Stoffbahnen, rotierende Schleier flüchtiger Gestalt, in deren Mitte man sich geborgen fühlen kann.

Das ist es, was von den idealisierten Mutter-und-Kind-Darstellungen zwischen Maria-Ikonographie und Käthe Kollwitz übrig geblieben ist: ein Detail, ein Körpergefühl, eine Sehnsucht. Und während man sonst so fleißig alle Gegensätze dekonstruiert, scheint das Thema Mama zu polarisieren wie eh und je: Die runden Formen und poetischen Stoffschleier kommen von Frauen; ein Künstler wie Konrad Klapheck dagegen malt seine „Supermutter“ als Fräsmaschine.

Es sind natürlich auch die Frauen, die sich mit der körperlichen Extremerfahrung des Mutterwerdens beschäftigen. Die dreißigjährige Braunschweigerin Sandra Munzel formt kleine Tonfiguren mit Tiergesichtern, überquellenden Brüsten und Bäuchen, aus denen Kinderköpfe hervorbrechen; moderne Fruchtbarkeitsgöttinnen jenseits jeder Esoterik, die man nicht verehren, sondern staunend betasten möchte.

Das Tierwerden, die Auflösung der Körpergrenzen bei der Geburt, ist auch das Thema von Marlene Dumas, die nackte, gebärende Leiber in Schwarz auf kleinformatige Papierblätter malt. Eine Schwangere liegt auf dem Tisch, den Kopf blicklos zurückgeworfen, die Beine weit gespreizt. Die Konturen des Körpers verschwimmen im breiten Pinselstrich: Kraftvoll ist das, nicht pathetisch.

Ohne aggressive Ironie ertragen die Herren Künstler weder ihr eigenes Sohnsein noch ihre Mütter

Bei Pipilotti Rist sieht man sogar der blanken Schere des Arztes beim Dammschnitt zu. „Als der Bruder meiner Mutter geboren wurde, duftete es nach wilden Birnenblüten vor dem braungebrannten Sims“ heißt das selten gezeigte Video. Die Ristsche Wackelkamera erwischt hier zwar keinen Birnbaum, aber dafür ein idyllisches Schweizer Dorf. Während im Rhythmus eines selbst gesungenen Popsongs die Berggipfel vorbeizucken, sieht man in einem kleinen Bildfenster die blutigen Details einer Krankenhausgeburt: Ratsch macht die Schere, flutsch macht das Kind, und zickezacke wird die klaffende Wunde wieder zugenäht. So viel zur Romantik des Mutterwerdens.

Am lakonischsten aber – und damit seltsamerweise auch am ergreifendsten – zeigt die niederländische Fotografin Rineke Dijkstra das Ereignis der biologischen Mutterschaft. In einer ihrer typischen Porträtserien hat sie Mütter direkt nach der Geburt fotografiert: Nackt stehen sie vor der weißen Wand, ihre zerknautschten, rot angelaufenen Babys an die Brust gedrückt. Der einen rinnt es leuchtend rot das Bein herunter, bei der anderen wird die Kaiserschnittnarbe von einer frischen Naht gehalten.

Die Gesichter zeigen kein überirdisches Mutterglück, sondern Erschöpfung, Erleichterung nach dem Schmerz – und ein verhaltenes Staunen über das, was ihnen gerade geschehen ist. Bestandsaufnahme einer Mutterschaft, die ohne Mythos auskommt – und trotzdem etwas ganz Besonderes ist.

Macht und Fürsorge. Das Bild der Mutter in der zeitgenössischen Kunst, noch bis zum 16. Oktober in der Trinitatiskirche, Köln.