■ Die Bevölkerung in Osttimor wird massakriert. Selbst internationale Organisationen und ausländische Journalisten werden von der proindonesischen Miliz angegriffen. Soll die internationale Staatengemeinschaft zusehen wie in Ruanda oder intervenieren wie im Kosovo? Der Druck, UN-Truppen zu entsenden, wächst
: Eingreifen?

„Wir können nicht tatenlos zusehen, wie die Osttimoresen massakriert und gewalttätig vertrieben werden“, sagt die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson. Gestern forderte sie in Genf eine Dringlichkeitssitzung der UN-Menschenrechtskommission, die es zuletzt 1994 beim Völkermord in Ruanda gab.

Der Forderung nach UN-Truppen, die Osttimors Unabhängigsbewegung schon seit langem stellt, schließen sich jetzt immer mehr Regierungen, Politiker und Prominente an. Sie reichen von den Regierungen Portugals, Australiens und Neuseelands über die EU-Kommission, Nelson Mandela, Kirchenvertreter in verschiedenen Ländern bis hin zur Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul . Für die SPD-Ministerin geht es in Osttimor um Glaubwürdigkeit. Wer im Kosovo zum Schutz der Menschenrechte eingreife, könne in Osttimor nicht anders handeln, so Wieczorek-Zeul.

Obwohl die Gewalt nicht erst seit gestern esakliert, hat der UN-Sicherheitsrat sich mit der Forderung noch nicht einmal formal befasst. In den vergangenen Tagen hat der UN-Sicherheitsrat den Terror, der die UN-Mission für Osttimor (Unament) zum Fiasko werden lassen könnte, zwar zweimal verurteilt. Doch selbst nachdem UN-Mitarbeiter von proindonesischen Milizen getötet wurden, konnte sich der Sicherheitsrat in einer Dringlichkeitssitzung nur zur Entsendung einer fünfköpfigen Delegation entschließen.

Australiens Regierung hat sich bereit erklärt, die Führung einer internationalen Blauhelmtruppe zu übernehmen. Dazu würde sie selbst 2.000 Mann bereitstellen, die innerhalb von 24 Stunden einsetzbar seien, so Premierminister John Howard. Das Angebot ist allerdings an zwei Bedingungen geknüpft: einen entsprechenden Beschluss des Weltsicherheitsrats und die Zustimmung Indonesiens.

Im Sicherheitsrat dürften insbesondere China und Russland Bedenken äußern. Chinas Regierung hat zwar erklärt, sie repektiere das Unabhängigkeitsvotum der Osttimoresen. Doch zugleich möchte Peking alles vermeiden, was als Präzedenzfall für eine Einmischung in Taiwan oder Tibet gewertet werden könnte.

„Niemand sieht, wie ohne die Zustimmung Indonesiens Friedenstruppen nach Osttimor geschickt werden können. Das käme einer Invasion gleich“, sagte gestern Neuseelands Außenminister Don McKinnon, dessen Regierung ebenfalls Blauhelmtruppen beisteuern würde.

Australien ist enttäuscht über die Zurückhaltung Washingtons. US-Außenministerin Madeleine Albright wollte eine Friedenstruppe nicht ausschließen, die USA wollen aber allenfalls logistische Unterstützung beisteuern, da man bereits im Kosovo und Bosnien stark engagiert sei.

Anders als im Fall Kosovo ist wegen Osttimor keine Regierung zum Krieg bereit. Jakartas Politiker und Generäle wissen, dass das internationale Gewicht ihres viertbevölkerungsreichsten Landes der Welt groß und das Osttimors sehr klein ist. Nur finanzieller Druck könnte Indonesien dazu bewegen, Blauhelmtruppen zuzustimmen. Als Epizentrum der Asienkrise ist Indonesien auf internationale Unterstützung angewiesen.

Erstmalig erklärte am Montag ein Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Jakarta, dass die für Ende September vorgesehene Auszahlung einer nächsten Rate ausgesetzt werden könnte, wenn die Gewalt nicht aufhört. Doch auch der IWF will Indonesien nicht destabilisieren.

Zurückhaltend reagierte bisher die Bundesregierung. Deutschland habe „traditionell sehr gute Beziehungen“ zu Indonesien, so der grüne Außenamtsstaatsekretär Ludger Volmer in einem Interview mit der Deutschen Welle. Der Forderung von Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul nach einer Friedenstruppe wollte sich bisher kein anderer Minister anschließen. Außenminister Joschka Fischer (Grüne) schweigt zu Osttimor, Volmer sagte lediglich, er könne die Entsendung bewaffneter UN-Friedenstruppen „nicht ausschließen.“ Das Auswärtige Amt schickte am Montag seinen Botschafter zu Präsident Habibie, um ihm die „außerordentliche Besorgnis zum Ausdruck zu bringen“, so eine Sprecherin zur taz. Ansonsten verwies die auf die Erklärung der EU-Außenminister vom Wochenende, die sich auch nur auf hilflose Appelle einigen konnten.

1994 war ein Großteil der früheren DDR-Flotte an Indonesien verkauft worden. Am Montag hatte Indonesiens Marinekommandant Achmad Sutjipto eine Teilmobilisierung der Seestreitkräfte angekündigt, darunter auch U-Boote aus westdeutscher Produktion. Die Operation diene dem Schutz indonesischer Gewässer, so die amtliche Nachrichtenagentur Antara. Sollte es zu einem Konflikt mit der australischen Marine kommen, schießen die indonesischen Schiffe aus deutscher Produktion womöglich auf australische Fregatten.

Sven Hansen, Berlin