Massive Töne, hoch komplex

Mit den Jahren immer cooler und lockerer geworden: Die amerikanische Latin-Rock-Band Los Lobos spielte zum ersten Mal seit 14 Jahren wieder in Berlin  ■   Von Andreas Becker

„Wer dieses Konzert verpasst, ist kein echter Musiker“, urteilt ein Mitglied der 17 Hippies schon vor der Tür. Und, ja, er meine das ernst. Drinnen dann ist es so voll, dass man meinen konnte, nicht nur alle Hippies dieser Stadt seien da, sondern überhaupt jeder. Als ob man es geahnt hätte, kreist Wolfgang Doebeling um den Tresen, an dem sich die Szeneredaktion der Berliner Morgenpost mit dem Quasimodo und dem JazzFest unterhält.

Los Lobos im Columbia Fritz: das ist ein Konzert für die Gästeliste. Dementsprechend schiebt sich eine nervöse Überdeterminiertheit vor das Ereignis.

Dieser Aufgeregtheit entgeht man auch im neuen Garten des Columbia nicht: Hier sitzt man auf Plastikstühlen im hellen Kies und fabuliert von der schönen alten Zeit. Den besten Ruf genießt in dieser Runde, wer glaubhaft machen kann, Los Lobos schon 1985 im Quasimodo erlebt zu haben. So wie der taz-Fotograf und ich! Damals, als Los Lobos noch vor ihrem Millionenseller „La Bamba“ standen, der 1987 als Filmmusik rauskam.

Dann stehen die Wölfe aus L.A. endlich auf der Bühne. Drei rundliche Männer, alle in Shorts, schnallen sich Gitarren und Bass um und stehen ziemlich massiv vor uns. Cool sind sie, verdammt cool. David Hidalgo, Chefsänger, Gitarrist und später auch am Akkordeon wirksam, verzieht keine Miene. Und Conrad Lonzano am Bass sieht sowieso aus, als habe er sein Geld gut angelegt und ließe sich hauptsächlich an seinem Pool in Südkalifornien von seinen Kindern Drinks bringen. Oder von jungen Mädchen. Es kommt noch ein Gitarrist dazu, und der sagt sogar etwas: „Hi, wir sind Los Lobos aus East L.A.“ Und man denkt: Die wollen uns fertig machen, und darum hauen die uns gleich den absoluten Schweinerock um die Ohren. Neben mir steht der Ticket und sagt: Jazzrock, die spielen Jazzrock.

Jedenfalls spielen Los Lobos nicht, was wir erwartet hatten. Mit Latino-Crossover oder sonstigen Tex-Mex-Geschichten hat das hier nämlich nichts zu tun. Und schon gar nicht mit grausigem Scheiß wie Ricky Martin, den die US-Latinos (nicht nur die) im Moment Los Lobos vorziehen. Los Lobos spielen Rock 'n' Roll, sonst nichts, und es fallen einem alte Vokabeln ein wie: urwüchsig, wild, bodenständig, zurückgelehnt, relaxt und eben supersupercool.

Auf dem Cover ihres neuen Albums „This Time“ ist eine alte Uhr abgebildet mit abgebrochenen Zeigern. Wenn man genau hinschaut, kann man die Zeit aber trotzdem ablesen. So ist es vielleicht auch bei diesem Konzert: Es ist einfach Rock 'n' Roll, aber sehr gegenwärtig. Keine Ahnung, woran das liegt: hochkomplexe Musik eben. Wären Los Lobos nicht sogar Multikulti, wenn sie heute und nicht 1973 das Licht der Welt erblickt hätten?

Los-Lobos-Urgefühle kommen auf, als die Band die erste Nummer der 87-er Platte „By The Light Of The Moon“ spielt: „One Time, One Night“, ein Song der von den unerfüllten Sehnsüchten der Einwanderer erzählt. Vom American Dream, wo Frauen Arschlöcher heiraten, um reich zu werden, und „gute Männer“ nichts falsch machen können. Die Jungs werden zunehmend lockerer und fragen ihre Fans, welche Songs sie gern hören wollen. „Loaded“ oder „Will The Wolf Survive“? Als man sich nicht einigen kann, werden beide Nummern gespielt. Und dann sogar noch „Papa Was A Rolling Stone“, worauf ein Typ an der Theke fragt, ob das etwa auch von Los Lobos sei.

Man geht zum Atmen in den Garten, und durch die offene Tür hört man Greatful-Dead-artige, endlos breite Gitarrenwände. Psychedelisch sozusagen. Und dann gibt es noch Zugaben. Damals im Quasimado hatte man eines der besten Konzerte der Achtziger gesehen. Diesmal war es einfach nur großartig. „Los Lobos – Quality since 1973“ steht auf dem T-Shirt des Roadies, der die Bühne abräumt. Eben.