Draußen im Lande    ■ Von Susanne Fischer

Wimmer, wimmer, Wahlbericht. Da waren sie wieder, die Mikrofonhanseln, schauten mit fachmännisch zusammengekniffenen Augen in die Kameras, riefen Computerfachleute, die (Kalauer) wahlweise Törtchengrafiken oder Säulenstatistiken ins Bild zauberten. Und dann der Höhepunkt des Abends: das Interview.

Fünfundzwanzigmal. „Herr Gewinner, Sie haben ja nun ohne Zweifel gewonnen, aber mit wem wollen Sie in Zukunft regieren?“ – „Nun, zunächst einmal möchte ich sagen, daß wir ohne Zweifel gewonnen haben, wofür ich natürlich meinen Wählerinnen und Wählern ... Helfern draußen im Lande ... gute und konstruktive Politik ... notwendige Reformen ...“ – „Äh, danke, aber auch die anderen sollen mal zu Wort kommen. Hallo, Herr Verlierer, Sie haben ja wohl ohne Zweifel verloren? Woran lag's?“ „Zunächst einmal möchte ich meinen Wählerinnen und Wählern ... vielen Helfern draußen im Lande ... haben wir ohne Zweifel verloren ... obwohl man Zweifel haben kann ... war ja doch kein so schlechtes Ergebnis ... haben wir immerhin bei der Gruppe der Azubis zwischen dreiundzwanzig und vierundzwanzigeinhalb ein Drittel Prozent zulegen können ... ein schöner Erfolg ... und wäre das Tor in der neunzigsten Minute nicht gefallen ...“ Huch! Aus Versehen umgeschaltet. Nein, mit Absicht umgeschaltet.

Dann aber aus Versehen wieder zurückgeschaltet. Da steht sie, die Vertreterin des Grauens, die Führerin der DVU-Riege, ein notdürftig überschminktes BDM-Mädel, das mit erschrockenen Kaninchenaugen in die Kamera blickt. Offenbar hatte ihr niemand gesagt, dass beim Fernsehen mit echten Kameras gearbeitet wird, und dass Politik in erster Linie aus Fernsehen besteht. Das war ja 33 auch noch anders. Und tatsächlich wird sie gefragt, was für Politik sie und ihre Partei denn nun machen wollen, da sie in den Brandenburger Landtag eingezogen sind. Jetzt erst bemerkt sie, wie sie sich in jenem Albtraum befindet, der viele Menschen ab und zu belästigt, eine Art kollektives Symbol für Versagensangst offenbar: Man steht auf einer Bühne, auf die man nicht gehört, und hat den Text vergessen. Man soll einen Vortrag halten, aber kann sich nicht einmal mehr an das Thema erinnern, und versucht, über das Wetter zu plaudern, bis es einem wieder einfällt. Man gibt überraschenderweise den Hamlet, ist aber in Wahrheit bloß ein Hammelkotelett. Politik? Partei? Landtag? Nie gehört. „Zunächst möchte ich den Wählerinnen und Wählern ... werden wir unsere Politik auf der ersten Fraktionssitzung festlegen und dann bekannt geben.“ So in etwa kommt das Vorzeige-Heidi der unbelehrbaren Ausländerhasser durch die Kurve geschlittert. „Nazi!“, ertönt es zaghaft aus dem Hintergrund, als könne es der Zwischenrufer selbst nicht glauben. Schon verstummt das rechte Nummerngirl ebenso eingeschüchtert wie erleichtert, bis der Moderator ihr gut zuredet: „Sie können weitersprechen.“ Je nun, das kann sie eben nicht.

Man mag es ja kaum sagen in diesem Land der Mahner und Warner, aber wenn das die rechte Bedrohung in unserer Demokratie sein soll, können wir uns alle entspannt zurück legen und in Ruhe noch ein paar Bierchen trinken. Ich glaube, der Feind sitzt irgendwo anders. Hinter den sieben Bierchen, unter den kleinen Tierchen.