Zeiten von zeitloser Schönheit

Beim Internationalen Stadionfest gerät das Golden League-Finale zur Nebensache: El Guerrouj und, oha!, Dieter Baumann setzen die Glanzlichter    ■ Aus Berlin Rüdiger Barth

Nach dem Rennen sah es so aus, als trabe Baumann eine Ehrenrunde. „Ich habe nur meine Sachen gesucht“, grinste er.

Was ist das Schöne an einem Leichtathletik-Meeting wie dem Internationalen Stadionfest (Istaf) in Berlin? Nicht dass hier die Kumbernuss stößt, da Riedel stöhnt und dort Greene seine Zunge dehnt. Es ist nicht dieses Kuddelmuddel aus Rennen, Werfen und Springen.

Das Schöne bei einem Meeting ist vielmehr das Absurde: die seltenen Momente der Zeitlosigkeit in diesem Sport, der die Hundertstel und Zentimeter anbetet. Das Istaf bot am Dienstag Abend gleich zwei dieser Augenblicke; zwischen ihnen lagen zwei vor sich hin plätschernde Stunden, in denen sich viele Medaillengewinner der WM mühten, ihre Müdigkeit am Ende der Saison zu verbergen. Nicht vielen gelang dies so wie dem Russen Maksim Tarasov, der mit dem Stab 6,01 Meter überwand, und Irina Mikitenko, die in 14:50,17 Minuten über 5.000 Meter deutschen Rekord lief.

Zwei Momente also. Natürlich war der eine der Weltrekordlauf des Marrokaners Hicham El Guerrouj, der über die 2.000 Meter die vier Jahre alte Bestzeit des Algeriers Noureddine Morceli um drei Sekunden auf 4:44,79 Minuten verbesserte. Der 24-Jährige, der auch über 1.500 Meter und die Meile die Bestzeiten hält, hatte das Spektakel zuvor ganz unbescheiden angekündigt; es sollte der krönende Abschluss des Meetings werden, und das wurde es auch.

Denn als El Guerrouj aus der Zielkurve auf die Gerade bog, begriffen die 46.000 im Olympiastadion, dass er es schaffen würde, und jubelten endlich so laut, wie 46.000 jubeln können. Diese letzten zehn Sekunden seiner Weltrekordjagd, immerhin diese letzten zehn Sekunden des Istaf waren es wert. „Ich habe mir dafür dieses Stadion mit seiner wunderbaren Geschichte ausgesucht“, sagte El Guerrouj danach. In der allgemeinen Weltrekordlaune wurde ihm die historische Fehleinschätzung gerne verziehen.

Zuvor hatte ein anderer Läufer eine ähnlich elektrisierende Spannung geschaffen, einer, dem es nur die Wenigsten zugetraut hatten: Dieter Baumann. Nur zwei Wochen nach der WM, auf die er verzichtet hatte, lief er über die 5.000 Meter zur Spitzenzeit von 13:02,63. Baumann wurde Neunter – aber es war das Rennen eines Champions. Zuerst waren sie ihm alle davongelaufen, die Kenianer und Marokkaner, Baumann zokkelte hinterher, ließ abreißen, kämpfte sich wieder nach vorne.

Und dann, eine Runde vor Schluss, „wurde ich nach vorne gespült“, wie er es formulierte, aber das sah von außen nicht so aus. Baumann ging in Führung, er war jetzt die treibende Kraft. „Ich bin volles Risiko gegangen“, sagte er, und das spürte man bis hoch auf die Tribüne: Da wagt einer was. Vom Kenianer Benjamin Limo und sieben anderen wurde er zwar noch überspurtet. Ihm fehle die Tempohärte, sagte er, „ich habe Lehrgeld bezahlt“, und das mit 34 Jahren. Aber es war gut zu wissen, dass Baumann noch immer die Gabe besitzt, den Zuschauern den Atem stocken zu lassen. Nach dem Rennen sah es dann so aus, als trabe er eine Ehrenrunde. „Ich habe doch nur meine Sachen gesucht“, sagte der Barde des Dauerlaufs und grinste dabei.

Daneben verblasste das groß angekündigte Finale der Golden League-Serie. Die Tücke liegt im System: Wer den Jackpot knacken will, muss alle sieben Meetings der Serie gewinnen. Wer dazu aber in der Lage ist, dominiert seine Disziplin bis zur Langeweile. In Berlin gelang der Coup der Rumänin Gabriela Szabo über 5.000 Meter und dem Dänen Wilson Kipketer über 800, die dafür je 500.000 Dollar einstreichen durften. Den bis zum Istaf ungeschlagenen Kenianer Bernard Barmasai hatte der Internationale Leichtathletikverband IAAF aus der Wertung genommen, weil er sich in Zürich den Sieg per Absprache ergaunert haben soll. Hätte der 3.000-Meter-Hindernisläufer nun auch Berlin gewonnen, wäre er womöglich vor Gericht gezogen. Der Marokkaner Ali Ezzine aber rannte ihm watschelnd davon; die IAAF-Funktionäre werden aufgeatmet haben. „So ist Sport“, sagte Barmasai danach; den Rest seines eigenwilligen Englisch verstand nicht einmal der Dolmetscher. Dass man ihn anhand von Tonbandaufnahmen des Betrugs überführt haben will, ist ein hübsches Detail am Rande.

So also blieben nur die kleine Szabo und der leichtfüßige Kipketer übrig. Hinterher herzten sich beide, vier Feuerwerkskörper zündeten, und sie durften in einer Schatzkiste voll weißer Säckchen wühlen. „Das war eine psychologische Sache“, sagte Szabo, dabei hatte sie nicht nervös gewirkt. Ihr Kollege Kipketer nannte seinen Lauf „ein Rennen wie jedes andere auch“. Jetzt werde er seine Wohnung abbezahlen „und auch den Strom und die laufenden Kosten“.

Die laufenden Kosten des Meetingdirektors Rudi Thiel dagegen bremste die weiche Tartanbahn des Olympiastadions. 100-Meter-Weltmeister Maurice Greene störte das nicht; er zelebrierte sich selbst, auch wenn er die 200 Meter in nur 20,21 Sekunden gewann. „Das war ein Arbeitssieg“, sprach der notorisch zappelnde Greene, und diesen Eindruck hinterließen viele Athleten an diesem Abend.

Die Saison war lang, die Beine sind müde. Trotzdem lobte IAAF-Präsident Primo Nebiolo das Meeting: Für eine WM 2005 in Berlin „stehen die Türen offen“. Nebiolo ist es auch, der die Golden League-Serie auf zehn Meetings ausweiten möchte. Schließlich warten in London, den USA und Japan viele potenzielle Sponsoren. Wer dann noch den Jackpot will, wird Spitzenleistungen im Akkord abliefern müssen. Arbeitssiege eben, keine von zeitloser Schönheit.