Ein Beamter ganz allein im Vorzimmer

■  Mit der „Internet Corporation for Names and Numbers“ hat sich die amerikanische Regierung ein globales Machtinstrument für die Zukunft geschaffen. Die neue Berliner Regierung schaut bislang verständnislos zu

Ira Magaziner, Bill Clintos Berater füt Internetfragen, verfolgt seit nunmehr zwei Jahren hartnäckig eine Idee. Mit Icann, der „Internet Corporation for Assigned Names and Numbers“ hat er sie heute schon beinahe verwirklicht. Icann soll im nächsten Jahr die Vergabe sämtlicher Internetadressen organisieren und die für die weltweite Kommunikation notwendigen Protokolle definieren.

Auf höchster Ebene hat die US-Regierung diese Entwicklung vorangetrieben. Im Wirtschafts- und Justizministerium, aber auch im amerikanischen Kongress verfolgt man aufmerksam, wie Icann zu einer Organisation heranwächst, die sehr erfolgreich US-amerikanische Interessen in einem bisher unbekannten globalen Ausmaß vertritt. Fachleute in der EU sehen bislang zähneknirschend und ohnmächtig zu, ihre Regierungen zu Hause verstehen in der Regel nicht einmal, was auf dem Spiel steht.

Auch in Deutschland hat die neue Politikergeneration das Internet höchstens als Propagandakanal entdeckt. Wie eine aktive Politik für das Netz aussehen könnte, ist noch niemandem eingefallen. Prominenter Vertreter dieser neuen Generation bei der SPD ist der heute noch als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie amtierende Siegmar Mosdorf. In einer Grundsatzrede hat er sich im Frühjahr dafür eingesetzt, „verstärkt unsere Bemühungen in Richtung international abgestimmter Lösungen für die zu regelnden Kernprobleme der Informationsgesellschaft zu lenken“.

Aber ausgerechnet die Schlüsselgewalt über jeglichen Zugang zum Netz, die Icann für sich in Anspruch nimmt, scheint nicht zu diesen Kernproblemen zu gehören. Mosdorfs Büro erteilt die knappe Auskunft: „Über Icann sind wir informiert, aber auf der Leitungsebene wird dieses Thema nicht behandelt.“ Der einzige Beamte, der sich im Wirtschaftsministerium damit beschäftigen darf, heißt Michael Leibrandt. Er arbeitet im Referat für „Grundsatzfragen der Informationsgesellschaft“. Zu konkreten öffentlichen Aussagen ist er nicht befugt.

Auf europäischer Ebene kooperiert Leibrandt mit seinen Kollegen in den anderen Ministerien. Da diese Arbeitsgruppe nur informell ist, kann und darf auch sie nicht erklären, worin die „zukunftsorientierte Internetpolitik“ besteht, die Sigmar Mosdorf in Deutschland betreiben will.

Immerhin sitzt der deutsche Beamte auch im beratenden Regierungsausschuss der Icann selbst, der aber ebenfalls nicht öffentlich tagt. Das macht den SPD-Abgeordneten und eingefleischten Internetfan Jörg Tauss nun doch allmählich nervös. Er kritisiert die Bundesregierung, weil sie die „Wichtigkeit einer aktiven Teilnahme an diesem politischen Prozess“ noch nicht „in wünschenswertem Maße“ erkannt habe. Tauss fordert eine „Politik, die sicherstellt, dass rechtsstaatliche und demokratische Mindeststandards eingehalten werden“.

Just daran bestehen im Fall der Icann denn auch in den USA große Zweifel. James Love etwa, Mitarbeiter des Verbraucherschützers Ralph Nader und Direktor des „Consumer Project on Technology“, fasst das weit verbreitete Unbehagen so zusammen: „Icann wird Schlüsselpositionen kontrollieren und private Formen der Besteuerung und Regulierung des Internet einführen. Sie ist aber nicht im gleichen Maße demokratisch berechenbar wie Regierungen.“

Unabhängig von den tatsächlichen Machtinteressen der Regierung ist das Gremium jedoch ebenso wenig. Zwar beteuert die Politikerelite Washingtons immer wieder, dass sie keinen Einfluss auf Icann nehme. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die als Non-profit-Organisation nach kalifornischem Recht eingetragene Icann wird zur Zeit von Esther Dyson geleitet. Die Netzpionierin, Unternehmerin und Autorin ist Mitglied des „Export Council Subcommittee on Encryption“ des amerikanischen Präsidenten und somit alles andere als regierungsfern. Vielmehr steht sie prototypisch für einen neuen, den Eigenarten des Internet angepassten Politikstil. Unter Bill Clinton (und Al Gore) hat der amerikanische Staat gelernt, dass er seinen Einfluss nicht mehr mit eigener Machtbefugnis geltend machen kann. Der Staat tritt von seinem unmittelbaren Zugriff auf das Internet zurück, initiiert eine Organisation, die eine „Selbstregierung“ sein soll, und nutzt seine Kompetenzen und Verbindungen, um diese zu stützen. Nur so lassen sich staatliche Interessen im Netz durchsetzen, und diesem Ziel hat offenbar auch Icann zu dienen. Um alle Zweifel in dieser Hinsicht auszuräumen, hat der Kongress neulich Esther Dyson zu einer Anhörung geladen, die unter dem vielsagenden Titel stattfand: „Ist Icann außer Kontrolle?“

Wenn Ira Magaziners Idee weiter verfolgt wird, ist das nicht zu befürchten. In dem Weißbuch für „Internet Domain Name Management“, das unter seiner Federführung entstand, sind die Regeln genau festgelegt, nach denen Icann die Kontrolle und Organisation der Internet-Infrastruktur übernehmen soll. Es geht dabei um weit mehr als technische Fragen. Für den ehemaligen stellvertretenden US-Verteidigungsminister, Joseph Nye, heute Leiter der Kennedy School an der Harvard University, ist die Überlegenheit im Informationssektor schlicht die wichtigste Machtressource für das kommende Jahrtausend. In einem Artikel in Foreign Affairs fordert er die US-Regierung auf, diese Überlegenheit zu verteidigen. David Rothkopf, ebenfalls ein ehemaliges Mitglied der Clinton-Regierung, wird in einem Aufsatz in Foreign Policy noch eindeutiger: „Ein zentrales außenpolitisches Ziel der USA im Informationszeitalter muss es sein, den Kampf um die weltweiten Informationsströme zu gewinnen, indem sie die Frequenzen beherrschen wie seinerzeit Großbritannien die Meere.“

Ziemlich einsam und verlassen sitzt derweil der Deutsche Leibrandt im Vorzimmer der Icann. Nicht ohne Grund befürchtet der Abgeordnete Tauss, dass dort „für Deutschland strukturell und verfassungsrechtlich problematische Regulierungen der künftigen Informationsinfrastruktur“ beschlossen werden könnten. Nur hat das mitten im Berliner Umzugsfieber bisher niemanden ernsthaft interessiert. Als Antwort hat Mosdorf lediglich angeboten, das weitere Vorgehen in Sachen Icann in der zuständigen Fraktionsarbeitsgruppe zu beraten. Christian Ahlert

Christian.Ahlert@sowi.uni.giessen.de