Auch die Uniformträger sollen künftig zivil sein

■ Heute legt die britische Regierung Vorschläge zur Reform der protestantisch dominierten Polizei Nordirlands vor. Sie soll zu einer gesetzestreuen, allseits akzeptierten Truppe werden

Dublin (taz) – Robert Hamill war auf dem Nachhauseweg von einer Diskothek. Der 25-jährige Katholik wollte gerade die Hauptstraße der nordirischen Kleinstadt Portadown überqueren, als er von 40 protestantischen Jugendlichen überfallen und zusammengeschlagen wurde. Hamill starb elf Tage später. Vier schwer bewaffnete Polizeibeamte hatten bei dem Mord zugeschaut. Sie saßen in ihrem Jeep nur fünf Meter entfernt.

Das war vor gut zwei Jahren. Es war nicht das erste Mal, dass die Royal Ulster Constabulary (RUC), Nordirlands Polizei, in die Schlagzeilen geriet. Seit ihrer Gründung 1922, als die Grüne Insel nach dem Unabhängigkeitskrieg geteilt wurde, ist den Beamten immer wieder vorgeworfen wurden, sie würden für die protestantische Mehrheit Partei ergreifen. Die BBC hat nachgewiesen, dass Polizisten direkt an der Ermordung von mutmaßlichen IRA-Mitgliedern mitgewirkt haben, der ehemalige RUC-Sergeant John Weir erklärte eidesstattlich, seine Polizeieinheit habe zehn Jahre lang im inner-irischen Grenzgebiet unter Duldung der Polizeiführung gebombt und gemordet. Offiziell hat die RUC 53 Menschen in Nordirland umgebracht.

92 Prozent der Polizisten sind Protestanten. Niemand in den katholischen Ghettos käme auf die Idee, bei Einbruchsdelikten oder Autodiebstahl die Polizei zu rufen, weil man ihr nicht über den Weg traut. Stattdessen wenden sich die Menschen lieber an die Irisch-Republikanische Armee (IRA). Die Strafen der IRA gegen Kleinkriminelle reichen von Landesverweisung bis zur Erschießung.

Im Rahmen des Friedensprozesses beauftragte die britische Regierung im vorigen Jahr den letzten Gouverneur Hongkongs, den katholischen Konservativen Chris Patten, mit der Reform der RUC. Seine Vorgabe war die Quadratur des Kreises: Die Polizei soll langfristig von beiden Bevölkerungsgruppen akzeptiert werden.

Heute nun legt Patten seinen Bericht vor. Er soll mehr als 200 Empfehlungen enthalten. Klar ist, dass der Name geändert wird, vermutlich in „Northern Ireland Police Force“. Der Treueeid auf die britische Königin verschwindet ebenso wie der Union Jack von den Dächern der Polizeireviere, Wappen und Uniformen werden geändert. Und die neue Polizei soll enger mit den südirischen Kollegen zusammenarbeiten.

Wie weit sich Patten an die Struktur der RUC herantraut, muss sich heute zeigen. Die Forderung Sinn Féins, des politischen IRA- Flügels, nach Auflösung der RUC wird er nicht erfüllen. Allerdings stehen Sinn Féin zwei Sitze in der 19-köpfigen Aufsichtsbehörde zu, was bei der RUC auf Widerwillen stößt. In den vergangenen 30 Jahren sind 302 Polizeibeamte ermordet worden, die meisten von der IRA, sagte ein Beamter. Hinzu kamen 60 oder 70 Selbstmorde von Polizisten, die mit der ständigen Anspannung nicht fertig geworden sind. Und nun, so fragte der Polizist, soll der politische IRA-Flügel über die Zukunft einer Polizei mitentscheiden, die sie bisher bekämpft hat?

Fest steht, dass die Zahl der Beamten langfristig reduziert werden muss. Bisher sind es 13.000, mehr als doppelt so viele wie in anderen britischen Regionen. Wenn der Waffenstillstand andauert, lässt sich diese Polizeidichte nicht länger rechtfertigen. Ferner soll eine unabhängige Agentur mit der Rekrutierung von Katholiken beauftragt werden, um deren Anteil auf 40 Prozent anzuheben. Die britische Regierung muss für die Reform tief in die Tasche greifen, um mit Hilfe von Entschädigungen Leute zur freiwilligen Kündigung oder Frühpensionierung zu bewegen. RUC-Chef Ronnie Flanagan sagte: „Ich erwarte sehr bedeutende Veränderungen, und wir sind bereit.“ Aber er fügte auch hinzu: „Natürlich kann so etwas nicht über Nacht geschehen.“

Die Polizeireform hat große Auswirkungen auf die Belfaster Friedensverhandlungen, die am Montag wieder aufgenommen wurden. Der frühere US-Senator George Mitchell, der die Verhandlungen leitet, hat gestern eine längere Pause angeordnet, damit die Parteien den Patten-Bericht in Ruhe studieren können. Streit ist vorprogrammiert. John Taylor, stellvertretender Unionistenchef, sagte, er werde sich jeder Veränderung der RUC widersetzen.

Für andere, wie die Familie von Robert Hamill, ist die Auflösung der RUC das Mindeste, das sie erwarten. Die Hamills hatten nach dem Mord an Robert Schwierigkeiten, überhaupt einen Anwalt zu finden, der sie gegen die RUC vertrat. Schließlich übernahm die engagierte Juristin Rosemarie Nelson den Fall. Sie hatte sich in der Vergangenheit mehrfach über Morddrohungen durch Polizeibeamte beschwert. Im März wurde sie durch eine Autobombe getötet. Ralf Sotscheck