„Ich bin nicht durchgedreht“

■ Scheiden tut weh. Ex-Justizminister Sauter will sich mit Leidensgenossen zusammentun und im Untersuchungsausschuss die Wahrheit sagen

taz: Sie haben es sich in Bayern mit Edmund Stoiber und dem allmächtigen CSU-Establishment verscherzt. Haben Sie schon entschieden, in welchem Land Sie Asyl beantragen werden?

Alfred Sauter: Für mich gibt es kein besseres Land als Bayern. Es ist auch das einzige Land, wo ich kein Asyl brauche. Hier gehöre ich hin und hier bleibe ich.

Selbst Ihnen wohl gesonnene Parteifreunde fragen aber, welcher Teufel Sie geritten hat, den Ministerpräsidenten frontal anzugehen. So bekommen Sie nie wieder einen Job in der CSU.

Ich sehe meinen Schritt nicht unter den Gesichtspunkten Karriere, Job und persönliches Fortkommen. Mir geht es um etwas anderes. Ich stand in der LWS-Angelegenheit relativ schnell alleine da, obwohl viele davon wussten und mir immer das Gefühl gaben, wir stehen das gemeinsam durch. Ich übernehme Verantwortung, aber ich spiele nicht den Watschenmann.

Von wem fühlen Sie sich im Stich gelassen?

Es ist für mich eine bittere Erfahrung, dass die langjährige politische Freundschaft mit dem Herrn Ministerpräsidenten in stürmischer Zeit nicht mehr gilt. Das ging ein bisschen flott. Mir kommt es so vor, dass jetzt ganz schnell Ballast abgeworfen werden soll.

Sie haben Edmund Stoiber im Kampf gegen Theo Waigel geholfen, Ministerpräsident zu werden. Damals haben Sie ähnlich harte Bandagen verwendet.

Theo Waigel war mein Trauzeuge. Ich habe damals für Stoiber, aber nicht gegen Waigel gekämpft. Es wurde dann versucht, das anders darzustellen. Darunter hat die Freundschaft mit Waigel sichtlich gelitten.

Diesmal haben Sie Stoibers Entschlossenheit zu spüren bekommen. Wie geht's eigentlich Theo Waigel heute?

Theo Waigel zeichnet sich dadurch aus, dass er immer zur Stelle ist, wenn es einem nicht gut geht. Er hat mich letzte Woche angesprochen und gesagt: Ich bin jederzeit für dich da. Wir haben dann ein sehr intensives Gespräch geführt. Ich gehe davon aus, dass das einen Beitrag leistet, wieder eine gemeinsame Basis zu finden.

Auch Mathilde Berghofer-Weichner, ebenfalls von Stoiber entlassene Justizministerin, hat sich gemeldet. Bilden Sie zu dritt einen Club der Ehemaligen?

Wir werden uns darüber unterhalten, wie's bei jedem gelaufen ist. Wir werden daraus möglicherweise unsere Schlüsse ziehen, aber es wird nicht dazu führen, dass eine Revolution in Bayern ausbricht.

Warum eigentlich nicht – nach den Erfahrungen, die Sie gemacht haben?

Bayern braucht keine Revolution. Die CSU ist für uns, die wir in Bayern etwas bewegen wollen, die politische Heimat. Dabei wird es auch bleiben.

Das erinnert ein bisschen an dogmatische Kommunisten. Auch die wollten nichts auf die Partei kommen lassen, selbst wenn sie von ihr fallen gelassen wurden.

Ich bin seit 32 Jahren in der CSU engagiert. Die CSU ist ein wesentlicher Teil meines bisherigen Lebens. Durch mein politisches Engagement ist meine Familie manchmal zu kurz gekommen.

Sie waren am Dienstag auf der ersten Kabinettssitzung seit Ihrer angekündigten Entlassung. Wie haben sich die früheren Kollegen verhalten, nachdem sich nun der Chef von Ihnen distanziert hat?

Im menschlichen Bereich gab's keine Probleme. Ansonsten haben alle mir das Signal gegeben: „Geh nicht weg, bleib da.“ Nach der Kabinettssitzung war ich eigentlich guten Mutes.

Aber?

Bei der anschließenden Pressekonferenz hat mich Ministerpräsident Stoiber in die Pfanne gehauen, dass die Lichter ausgingen. Das hat mich persönlich sehr getroffen, zumal ich in keinster Weise vorgewarnt worden bin. Da ist leider viel von dem zerbrochen, was sich nach der Kabinettssitzung wieder im Aufbau befunden hat.

Sie beschreiben Herrn Stoibers Verhalten als menschlich schäbig. Ist es nicht auch politisch problematisch, wenn so jemand ein Bundesland führt?

Das Verhalten des Herrn Ministerpräsidenten möchte ich nicht bewerten. Die Art, wie mit mir umgegangen worden ist, kann jedoch sicher nicht als Richtschnur für Verhalten in schwierigen Situationen dienen.

Und was sagt das politisch über Herrn Stoiber aus?

Ich bin nicht sicher, ob das, was in den letzten Tagen geschehen ist, von ihm so geplant und beabsichtigt war. Nach meiner Einschätzung war die Entwicklung eher unkontrolliert. Darüber nachzudenken ist seine Aufgabe, nicht meine.

Ihr Verhalten sah zeitweise auch nach Kontrollverlust aus.

Nein. Geist, Verstand und Nervenkostüm sind in bester Verfassung. Ich bin zu keinem Zeitpunkt durchgedreht. Aber es geht um meinen guten Ruf. Den gilt es zu verteidigen.

Die SPD hofft auf Sie als Kronzeuge. Stehen Sie bereit?

Ich weiß nicht, wer den Schmarrn erfunden hat. Mich macht etwas stutzig, dass der Chef der Staatskanzlei, mein alter Freund Erwin Huber, sich das jetzt auch ständig zu Eigen macht. Einen Kronzeugen Alfred Sauter wird es nicht geben – und schon gar nicht für die Opposition.

Aber sollten Sie nicht sagen, was Sie wissen?

Natürlich werde ich im Untersuchungsausschuss die Wahrheit sagen. Absprachen wird es nicht geben.

Wird dadurch Edmund Stoiber belastet werden?

Der Untersuchungsausschuss wird alle Fakten zutage fördern. Wie das dann bewertet wird, vermag ich nicht zu beurteilen.

Am nächsten Montag wird Stoiber Ihre offizielle Entlassung im Landtag beantragen. Werden Sie noch mal rebellieren?

Ich werde auch weiterhin meinen Standpunkt offen und ehrlich vertreten. Wenn nötig auch am kommenden Montag. Im Moment aber ist jeder Tag für eine Überraschung gut.

Sie haben Herrn Stoiber vorgeworfen, mit Ihrer Entlassung ein „Menschenopfer“ zu bringen. Bereuen Sie diese Ausdrucksweise inzwischen?

Nein, schließlich geht es ja um ein menschliches Schicksal.

Das Wort war nicht zu stark gewählt?

Ich bin weg, wie jeder weiß. Wenn es nach dem Willen von Stoiber geht ...

Und Sie glauben's immer noch nicht?

Ich habe in der Politik schon alles erlebt.

Interview: Patrik Schwarz