Von den Normen befreien kann sich keiner

■ Amélie Niermeyer inszeniert am Thalia Theater Hebbels Maria Magdalena

Vor gut 150 Jahren wurde Hebbels Maria Magdalena uraufgeführt und Klaras Geschichte zum ersten Mal erzählt. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die das Leben mit sich geschehen läßt und es dadurch verliert. Alles nimmt seinen Anfang, als sie sich in einer finsteren Nacht vom Zukünftigen schwängern läßt. Vo da an geht's bergab. Der Vater, der Bruder, ihre ganze Umgebung hält sich an Dogmen fest und verzichtet lieber auf Klara als auf die Doktrin. Und selbst Klara geht es letztlich so.

Amélie Niermeyer inszeniert das Stück am Thalia, Sonntag ist Premiere. Die Regisseurin sieht in Klara kein reines Opfer: „Hebbel selbst schrieb ja, daß sie aus der Welt gedrängt wird, doch ich empfinde es anders. Für mich ähnelt sie den anderen Figuren: Alle folgen einer bestimmten Idee, die der Erziehung und den Wertvorstellungen der Zeit entspricht, und keiner schafft es, sich von den gesellschaftlichen Normen zu befreien. Klara hat das Denken ihres Vaters so stark verinnerlicht, daß sie gar nicht versucht, sich zu wehren. Sie geht wie die anderen sehr eng und eindimensional durchs Leben, unfähig, sich zu öffnen.“

Dieses Gefangensein ist für Amélie Niermeyer der Anstoß, das Drama zu erzählen: „Ich finde es für die heutige Zeit sehr spannend zu verdeutlichen, wie Menschen sich in ihrer eigenen Ideologie abkapseln. Man sollte meinen, daß wir uns verändert haben. Aber die Engstirnigkeit ist heute vielleicht sogar weiter verbreitet. Gerade weil unsere Gesellschaft so wenige Wertvorstellungen und so wenig klare Moral hat, schotten sich die Leute noch eher ab, weil sie an irgend etwas glauben wollen.“

Amélie Niermeyer hat beste Voraussetzungen für eine gelungene Inszenierung: „Der Kontakt mit dem Ensemble hat sich sehr gut entwickelt, obwohl ich nur mit Sylvie Rohrer, die die Klara spielt, schon gearbeitet habe. Ich konnte mir die Darsteller alle selbst aus dem Ensemble wählen und hatte auch bei Bühnenbild und Kostümen freien Lauf.“ Ausgewählt hat sie Thalia-Größen wie Fritz Lichtenhahn, Dietmar König und Angelika Thomas und für das Bühnenbild Martin Zehetgruber. Die Kostüme sind von dem im Thalia geformten Falk Bauer, der jetzt als Freier zurückkommt. Zu den wenigen Details, die das Stück aus dem klaustrophobisch engen Rahmen der Ausweglosigkeit herausheben werden, gehört sicher die Musik von Klaus Buhlert. „Dabei ist dies ja kein Stück, das mit Musik zu tun hat, weiß Gott nicht. Doch die Musik schafft es, zwischen den Szenen, immer wieder, eine verfremdende Atmosphäre zu schaffen, andere Assoziationen zu bilden.“

Kurz vor der Premiere hat die Regisseurin noch zwei Wünsche: daß das behutsame Herausheben des Textes ins Allgemeingültigere gelungen sei und daß sie, nun, da das „Fremdsein“ zwischen den Akteuren und ihr überwunden ist, einmal nach Hamburg wiederkommen wird. Beide Wünsche dürften sich eigentlich erfüllen.

Thomas Plaichinger

Thalia, Premiere So, 10.  12., 20 Uhr