Evenement und Retroperspektive

■ Documenta-Leiterin Catherine David präsentierte ihre ungefähren Kernthesen zum Programm

Positionen erklären nicht mit Worten, sondern mit der Art der Kunst, die ausgewählt wird: Das ist die Aufgabe von Kunstkuratoren, und so geht Catherine David auch schon in der Planungsphase vor. Die französische Leiterin der nächsten documenta kam am Montag abend nach Hamburg und zeigte in der Reihe Gegenbühne einen Film.

So ging es nicht direkt um Pläne zur wichtigsten Weltkunstschau, sondern mehr um die Bestimmung eines heute möglichen gedanklichen Umfelds für solch ein Ereignis. Und das ließ sich aus dem sehr persönlichen Dokumentarfilm Lumumba, der Tod des Propheten von Raoul Peck ableiten. Der Film ist eine stark biografische Erzählung über die politischen Geschehnisse in Zaire vor 30 Jahren.

Die Titelfrage der Veranstaltung, was dieser Film mit der Kunst zu tun hat, diente David als Einstieg, ihre Konzeption auszubreiten. Hinter allen weitreflektierten Gedankengebilden waren sogar einige Kernthesen auszumachen. „Egal in welchem Genre, die ästhetischen Positionen werden immer in der ersten Person ausgedrückt“, vertritt Catherine David die individuelle und widersprüchliche Sinnerzeugung. „Während die Bilderflut den Konsens erzwingen will, hat Kunst die Aufgabe, Dissens zu erzeugen“.

Ein „Laboratoire Culturel“ wolle sie 1997 veranstalten. Sicher ist, daß Amüsement nicht das ist, was sie will, aber schon das Wort Ausstellung schätzt sie nicht. Sie spricht lieber von einem „Evenement“, ein zwischen Ereignis und Überraschung changierendes Wort. Daß die zehnte documenta am Jahrhundertende auch eine bilanzierende Retrospektive sein solle, kontert sie mit dem Wortspiel der „Retroperspektive“.

Sie wolle ein Spektrum zeitgenössischer Kunst zeigen, und gewiß werde da auch Film und Tanz dabei sein. Man dürfe aber nicht nur eine „neue Abteilung des Bazars“ öffnen und Exotisches einsetzen, um hier herrschenden Mangel zu kompensieren. Wiederholt verwahrte sie sich gegen zu schnelle Erwartungen: „Man gilt entweder als größenwahnsinnig oder als lächerlich, wenn man nichts Festes, Abschließendes formuliert“, aber genau das sei Zweck der Kunst und der documenta.

Bleibt die Frage, warum die fast vollzählig anwesenden Galeristen, Museumsleiter und Vertreter der Kunstpresse Hamburgs, allesamt wortmächtige Personen, an diesem Abend keine Fragen gestellt haben? Man scharte sich um die für drei Jahre zum mächtigsten Kunstvermittler der Welt erwählte Person und lauschte den wohligen Wortwolken: In früheren Zeiten hätte man das wohl als Hofhaltung bezeichnet. Doch dabei nutzt David die Neugier an ihren Positionen schon in der Planungsphase zum Transport von Kunst, wie dem Film von Raoul Peck, und das ist ja auch schon eine ganz bemerkenswerte Strategie.

Hajo Schiff