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Ausbildungsmisere am runden Tisch

■ Aktionstag gegen Lehrstellenmangel / Nur 60 Prozent der Azubis werden übernommen / 9000 Jugendliche sind arbeitslos /

Hamburg hat mit rund 15 Prozent die zweithöchste Jugendarbeitslosenquote in Deutschland. Laut Arbeitsamts-Statistik haben rund 1300 SchulabgängerInnen 1995 keinen Ausbildungsplatz gefunden. Gründe genug für die DGB-Jugend, morgen zu einem bundesweiten Aktionstag gegen die Lehrstellenmisere aufzurufen. Die Forderung: „Mehr Ausbildungsplätze für Hamburg“.

„Viele Betriebe, darunter häufig Großbetriebe, bilden nicht mehr aus“, erklärt Petra Heese, Jugendbildungsreferentin der Hamburger DGB-Jugend. Vor allem in der Versicherungsbranche wurden nach einer Umfrage der Gewerkschaft in den vergangenen zwei Jahren 40 Prozent der Lehrstellen abgebaut.

„Wir setzen auf Selbstverpflichtung der Unternehmen über Tarifverträge und runde Tische“, beschreibt Petra Heese die Gewerkschaftsideen zur Lösung des Problems. Wo dies nicht funktioniert, müßte es eine gesetzliche Ausbildungspflicht geben. Gedacht wird an einen Lastenausgleich, den die Betriebe, die keine Jugendlichen ausbilden, an die anderen zahlen. Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit werde noch verschärft, weil nicht einmal 60 Prozent der Azubis übernommen wurden. Rund 9.000 Jugendliche unter 25 Jahre sind in Hamburg arbeitslos.

Zum Thema „Perspektive jetzt“ wollen die DGB-Jugendlichen Bürgermeister Henning Voscherau, Jürgen Hogeforster von der Handwerkskammer, Erhard Pumm vom DGB und andere Kommunalpolitiker ins Kreuzverhör nehmen. Außerdem werden auf dem Rathausmarkt von 16 bis 19 Uhr Videoclips zur Situation von SchülerInnen und Azubis gezeigt.

Die Arbeitgeber fühlen sich zu Unrecht geprügelt. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Landesvereinigung der Unternehmensverbände (LVU), der Handwerks- und der Handelskammer erklärten sie gestern, die Zahl der Ausbildungsverhältnisse sei gegenüber dem Vorjahr wieder um ein Prozent gestiegen. Angesichts der Tatsache, daß das Lehrstellenangebot in den vergangenen drei Jahren jeweils um 10 Prozent zurückging, ist das nur ein schwacher Trost.

„Wenn Jugendliche nicht die richtige Ausbildungsstelle finden, dann hat dies auch etwas mit dem Ausbildungsverhalten der Jugendlichen zu tun, die verstärkt kaufmännische Berufe nachfragen“, weist der Präsident der LVU, Hellmut Kruse, den „Schwarzen Peter“ von sich. Immerhin seien in diesem Jahr 520 beim Arbeitsamt gemeldete Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben. Betroffen davon sind der Einzelhandel und das Handwerk sowie der gewerblich-technische Bereich. Und Reinhard Wolf von der Handelskammer fügte hinzu: „Wer bei einer solchen Situation die Anpassung des Lehrstellenangebots an die Wünsche der Jugendlichen fordert, verkennt, daß die Ausbildung immer den künftigen Fachkräftebedarf vorausnimmt.“ Patricia Faller

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