Ohne Kölsch läuft gar nichts

Man nehme einen Historiker, einen Koch und die GenießerInnen von Slow Food und lasse sie Stadtgeschichte schreiben. Heraus kommt der erste kulinarische Stadtspaziergang, bei dem in diesem Sommer dreimal aufgetischt wurde. Ob jüdisch, christlich, mittelalterlich oder niederländisch geprägt: Köln lädt zur Schlemmertour Von Marita Odia

Fünf Stunden dauert das Menü. Fünnf Stunden für fünf Gänge. Serviert wird an historischen Orten, im Freien, an öffentlichen Plätzen, an denen sonst kein Tisch gedeckt wird. Ungestört von Christopher Street Day und Altstadtfesten finden sich mitten in der trubeligen Innenstadt ruhige Ecken zum Essen und Trinken. Und als Aperitif wird Geschichte erzählt. Die muss nicht von weit her geholt werden: Köln hat erstaunliche kulinarische Wurzeln. Schon Kaiser Maximilian sei im Jahre 1505 in die Domstadt gereist, um dort gut zu speisen, weiß die Weinbergsche Chronik von 1521 zu berichten.

Die Frage des passenden Getränks ist schnell entschieden: Ohne Kölsch läuft gar nichts. So erfahren die Gäste beim ersten Schluck auf dem Altermarkt, dass die Kunst des Bierbrauens in Köln schon im 11. Jahrhundert nachgewiesen wurde, dass Kölsch aber eine neuzeitliche Erfindung ist. Die Konvention von 1952 („Kölsch darf nur in Köln gebraut werden“) mutet zwar ein wenig mittelalterlich an, hat sich aber als kluger Marketingtrick erwiesen.

Am Altermarkt steht das Brauhaus Gaffel, einer der schönsten Renaissancebauten der Stadt. Holländische Kultur hat sich nicht nur in den Glockengiebeln niedergeschlagen, sondern auch auf die Küche ausgewirkt. Wie sonst wäre der „Halve Hahn“ – kein Geflügel, sondern ein Roggenbrötchen (Kölsch: „Röggelchen“) mit Gouda und Matjeshering – Kölsche Spezialität geworden? Niederländer brachten den „Hahn“ als Handelsware den Rhein hinunter.

Als Gaffeln (Gabeln) bezeichneten sich im mittelalterlichen Köln die Handwerker- und Bürgergesellschaften. Sie aßen vornehm mit den von italienischen Höfen abgeguckten Gabeln, während das gemeine Volk mit Löffeln hantierte.

Auf dem Rathausplatz serviert Koch Rainer Gößling die erste Vorspeise: Möhrenzimmes und gefüllte Teigtaschen. Beides sind jüdische Speisen, denn der Rathausplatz markiert das alte jüdische Viertel, von dem nur noch das rituelle Bad (die Mikwe) und das Fundament der Synagoge erhalten sind. Nach dem Krieg war das verschüttete Bad wieder gefunden worden – randvoll mit dem Müll aus sechshundert Jahren. Nach mehreren Pogromen und der endgültigen Vertreibung der Juden im Jahr 1424 hatten die Kölner die Mikwe als Müllkippe missbraucht.

Das reinigende Bad gehört zur jüdischen Tradition wie das koschere Essen. Die Speisegesetze, die Milchiges von Fleisch trennen, schreiben den Gläubigen vor, was sie essen dürfen. Paarhufer und wilde Tiere stehen auf keinem Speisezettel. Der tiefe Sinn liegt in der spirituellen Betrachtung des Essens und in der bewussten Auswahl. In der Synagoge in der Roonstraße existiert das einzige koschere Restaurant Nordrhein-Westfalens. Die deftige Küche steht allen offen, die durch die langen dunklen Gänge finden.

Am jüdischen Bad gab es nur Wasser, an der römischen Hafenstraße unterhalb des Römisch-Germanischen Museums wird der erste Wein geköpft, schließlich brachten die Römer den Weinbau nach Germanien. An Rhein und Mosel wurden Traubenkerne gefunden, die denen der Silvanertraube ähneln. Also trinkt man zu Brot und Fischdip, der dem römischen Ketchup namens liquamen nachempfunden ist, einen kühlen Silvaner aus der Rheinpfalz.

Die Küchenkultur der katholischen Kirche steht am gedeckten Tisch im Innenhof von Groß Sankt Martin im Mittelpunkt, der spätromanischen Kirche mit dem auffällig viereckigen Turm. Wie alle Kölner Pfarreien besaß Groß Sankt Martin einige Weingüter. Der Historiker hat die Dokumente eines Erbschaftsstreits um gute Rieslinglagen an der Terrassenmosel bei Koblenz in den historischen Quellen entdeckt. So wird den Teilnehmern des Stadtspaziergangs ein Möselchen von den Schieferterrassen serviert. Dazu gibt es eine alte Fastenspeise: Heringssalat.

Aschermittwoch und Karfreitag zählen noch heute in der katholischen Kirche zu den wichtigsten Fastentagen, an denen laut Codex Iuris Canonici von 1982 erst am Abend gegessen werden soll. Jeder Freitag ist Fastentag der gemäßigten Sorte. Hauptregel: kein Fleisch.

Freitags gab es in den Haushalten, die es sich leisten konnten, Rheinfisch wie den Lachs oder Heringsgerichte, die als besonders kostbar galten. Im Kochbuch der Cöllnischen Köchin von 1809 sind ein Drittel der Rezepte als „Fastenspeisen“ ausgewiesen, wie etwa Biersuppe und Fischwurst.

Über Riesling und Fastenspeise kommen die kulinarischen Spaziergänger ins Gespräch, doch der Koch fordert Tisch und Bänke. Sie müssen in zwanzig Minuten zum nächsten Gang im Innenhof von St. Maria aufgebaut sein. Dort wird mit Blick auf das Dreikönigspförtchen eine Blutwurstsauerkrautquiche mit Pfälzer Rotwein in vielen Varianten probiert.

Zur Verdauung erzählt Historiker Manfred Faust vom Ökobildungswerk die blutrünstige Geschichte von den Drei Königen, deren Gebeine der Kölner Erzbischof Reinald von Dassel 1164 in Mailand gestohlen hat. Damit machte er Köln zum Pilgermekka und zu einer der reichsten Städte Europas. Schon damals galt: Der (Pilger-)Tourismus bringt Menschen und damit Geld in die Stadt.

Merklich langsamer schleppen sich die Teilnehmer zum Rhein. Dort wird in unmittelbarer Nähe der Mehlfabrik mit dem Sonnenstern und des Schokoladenmuseums eine Rückschau auf die Geschichte der Schokoladenfabrikation in Köln serviert – eingebacken in einen formvollendeten Marmorkuchen. Zum Kaffee gibt es keine warmen Worte, sondern einen Likör, produziert auf der Venloer Straße in Köln-Ehrenfeld, aus Haselnüssen und den Kakaoschalen, die bei der Schokoladenproduktion abfallen.

Marita Odia, 35, ist Vorstandsmitglied von Slow Food Deutschland und leidenschaftliche Kölnerin