Interdisziplinär mit prägendem Ambiente

Das Literaturhaus wird zehn – sein Verhältnis zur hiesigen Autorenszene ist längst entkrampft  ■ Von Stefan Pröhl

Am Sonnabend feiert das Literaturhaus mit Musik und Tanz, einer Klagenfurter Journalistenrunde und literarischem Ratespiel in den eignen Hallen, am Sonntag sollen hundert Hamburger Autoren auf den Alsterwiesen zusammenkommen, um unter dem Motto „Goethe und ich“ ihr ureigenstes Verhältnis zum Weimarer Allroundkünstler offenzulegen. Die Moderation werden Jürgen Abel, Michael Weins, Tina Uebel und Dierk Hagedorn übernehmen. 13 Stunden soll das Spektakel dauern.

Dass das Literaturhaus an seinem zehnten Geburtstag eine Brücke zwischen (seinen) Hamburger Autoren und dem deutschen Dichterfürsten aufbauen will, symbolisiert das entkrampfte Verhältnis, das das Haus am Schwanenwik inzwischen zur hiesigen Autorenlandschaft aufgebaut hat. Waren es doch nicht wenige, auch so manche etablierte Schriftsteller, die dem Konzept in seiner Gründungsphase mit verstocktem Ingrimm begegneten. Viele hielten den Machern des Literaturhauses vor, es lieber als nobles Aushängeschild dieser Stadt etablieren zu wollen, als zu einer fördernden Begegnungsstätte der literarisch Produktiven werden zu lassen. Auch die Musealisierung bildungsbürgerlicher Literaturrezeption, die den Veranstaltungen in der Stadtvilla anhaftet, wirkte auf viele wie ein Affront, verfügten sie Ende der Achtziger doch selbst über keine literarische Struktur zum Kontern.

Die damaligen Bemühungen der Betreiber des Literaturlabors in Eimsbüttel, Lutz Floerke, Vera Rosenbusch und Frank Keil, einen solchen Subort dem wachsenden Riesen an der Alster entgegenzusetzen, scheiterten jedenfalls. Aber Neid und Missgunst verflogen schnell. Selbst die schärfste Kritiker von damals werden heute eingestehen müssen, dass seit Bestehen des Hauses nicht nur das Niveau der Hamburger Literaturproduktion gestiegen ist, sondern dass das Literaturhaus zumindest indirekt kräftig mitgeholfen hat, dass Hamburg eine so lebendige Literaturszene ausbilden konnte, wie sie sich heute im Foolsgarden oder im Nurfürgäste trifft. Immerhin fanden die ersten Poetry-Slam-Veranstaltungen in den Räumen des Literaturhauses statt, und zwar vor etwa drei Jahren in den Jour-fixe-Sonntagsmatineen.

Überhaupt ist das Publikum gemischter, als man beim ersten Rundblick anzunehmen meint. Man sitzt nicht nur mit Besuchern aus den reichen Elbvororten oder der nahgelegenen Winterhuder Schi-ckeria an einem Tisch. Das Ambiente prägt die Gesamtpräsentation der Abende inwendiger als es in anderen Kulturtempeln unserer Stadt der Fall ist. Die stets etwas feierliche, aber auch zu Geselligkeit anstiftende Atmosphäre, die der mit Marmorsäulen und Stuckleisten verzierte große Saal hinterlässt, trägt vielleicht mit dazu bei, dass hier eher das gesetztere Publikum Einzug hält. Das mangelnde Interesse der Germanistikstudenten an den Autorenlesungen wird seit eh und je beklagt. Wer ins Literaturhaus geht, will seinem vagen oder auch schon intimeren Interesse für japanische Dichtkunst, skandinavische Autoren oder dem neuen Roman von Don Delillo frönen.

In den ersten beiden Jahren verlieh Christina Weiss, heute Kultursenatorin, dem literarischen Programm eine recht avantgardistische Farbe. Neben international renommierten Starautoren und von der Literaturkritik hochgepuschten Jungautoren holte sie vor allem sprachvernarrte Künstler wie etwa Ginka Steinwachs, H.C. Artmann oder Oskar Pastior an die Alster, die im Experimentellen und Fraktalen eher zuhause sind als im Metier des Geschichtenerzählers. Christina Weiss' Nachfolgerin, die unermüdliche Ursula Keller, seit 1992 im Amt, setzt verstärkt auf interdisziplinäre Symposien und Diskussionsrunden, will nicht nur Literatur pur vermitteln, sondern darüber hinaus zeitdiagnostische Reflexionen bei den Besuchern wachrufen. Die Grenzen sollen fließen. Tagungen und Veranstaltungsreihen über „Islam und Moderne“, „Perspektiven metropolitaner Kultur“, „das Verschwinden der Wirklichkeit“ oder „das Böse“ lockten oft über 200 Zuhörer pro Abend ins Literaturhaus.

Das „philosophische Gespräch“, das im Januar dieses Jahres wenig vielversprechend mit Odo Marquard unter dem Motto „Ich bin viele“ begann und mehr Verwirrung als eine gedankengeladene Stimmung im Saal erzeugte, scheint sich inzwischen durchgesetzt zu haben. Und wer bei der Veranstaltung mit Martin Seel im Juni zugegen war, nahm regen Anteil an den Hilfestellungen, die der eingeladene Philosoph für die private Suche nach dem Glück im Vortrag und im Gespräch bereithielt.

Ein Novum in der deutschsprachigen Literaturförderung stellt der mit 20.000 Mark dotierte „Mara Cassens Preis“ dar. Die Jury setzt sich aus Mitgliedern des Literaturhaus-Vereins zusammen und ist daher auch ein bisschen Spiegel für das, was die derzeit 600 Mitglieder gerne lesen. Dieser Preis wird für einen deutschsprachigen Erstlingsroman vergeben; unter anderem ging er an Ralf Rothmann und Marlene Streeruwitz.

Zahlreiche Gastveranstaltungen ergänzen das Programm, wie etwa der „Spaß mit Büchern“. Einmal monatlich werden Kinderbücher von Künstlern für die kleinen Leser präsentiert und in Szene gesetzt. Außerdem nutzt das im Haus selbst ansässige Literaturzentrum die Räume. Es wird von Hamburger Schriftstellern betrieben und setzt vermehrt auf gesellschaftskritische Bezüge der eingeladenen Autoren. Man kann aber auch an veranstaltungsfreien Tagen durchs Portal treten, um in der exzellent sortierten Buchhandlung Samtleben zu stöbern oder einfach einen Milchkaffee trinken und in aktuellen Literaturzeitschriften blättern.

Hamburgs Literaturfreunde haben allen Grund, mitleidend nach Stuttgart herunterzublicken, wo ein Literaturhaus erst im Entstehen begriffen ist. Das Haus am Schwanenwik verzeichnet im Vergleich zu anderen Literaturhäusern in Berlin, München und Dortmund einen starken Besucherandrang und hat von allen Subventionsempfängern im Ressort Kultur die höchste Eigenfinanzierungsquote. Das Konzept scheint also, auch was die Zahlen angeht, aufzugehen.

Jubiläumsfest, Sonnabend, 20 Uhr, Schwanenwik 38, Eintrit frei für Mitglieder und alle, die es werden wollen; „Goethe und ich“: Sonntag, Alsterufer nahe Sechslingspforte, ab 11 Uhr