Massenheirat im Volkshaus

■ Die Waller GaDeWe untersucht in den nächsten Monaten künstlerisch das Thema „Zeit“. Tom Terhoeven etwa gräbt in einem Keller alte Ehepaare aus

Beuys machte ja einen unheimlichen Buhei aus dem Zusammengehen von Kunst und Leben, man könnte auch sagen: einen Aidadaus. Dabei ist die Sache total einfach. Alles was man dazu braucht ist ein Motorrad. Das genügt. Na ja, und dann natürlich noch zu wenig Geld. Dann nämlich handelt es sich bei dem Motarrad gewiss um ein schrottiges Motorrad, welches seinem Besitzer schnurstracks die Geheimnisse des Schraubens lehrt. Wenn er dann auch noch vom nötigen Quantum Irrwitz geschlagen ist um sich in den Besitz einer Guzzi Le Man Baujahr 75 – Sie wissen schon, die Italiener – zu bringen, muss er sehr tief in diese geheime Welt eindringen, will er nicht verzweifeln.

Tom Toerhoven ist so ein Eingeweihter. Fax-Gerät und CD-Player bezieht er längst nicht mehr vom Elektromarkt, sondern zieht sie aus Sperrmüllbergen um sie zu reanimieren: eine Art Altenpfleger für Elektromüll. Manchmal ist nur das Papierfach verstopft und ein Fax-Gerät wird weggeschmissen. Die zunehmende Hartherzigkeit der Menschen geht eben auch an Fax-Geräten nicht spurlos vorbei.

Tom Terhoeven bemüht sich aber nicht nur um die Reintegration pensionierter Geräte in den Arbeitsprozess. Manchen von ihnen ermöglicht er ein zweckfreies, unentfremdetes Dasein jenseits der Ausbeutungszusammenhänge, zum Beispiel als Wasserspiel. Kaffeemaschinen und Geschirrspüler sprühen fröhlich vor sich hin. Und Glas und Licht-Schatten-Effekte sorgen dafür, dass das gut aussieht. Das verborgene Innenleben der Geräte, Herzpumpe und Schlauchgedärm, wird sichtbar gemacht. Eine Waschmaschine muss nicht mehr stupide wie ein Hamster im Kreis herumrennen, sondern darf sich endlich dank Rädern fortbewegen. Hegel würde sagen: Sie kommt zu sich selbst, Brecht vielleicht eher von Verfremdung sprechen.

Verfremdung hat auch die GaDeWe (Galerie des Westens) im Sinne. Bis über die Jahrtausendwende hinaus will auch sie Kunst ins Leben hineintreiben, zum Beispiel in einen Bauwagen oder ein Altenpflegeheim. Neun KünstlerInnen wurden eingeladen, an ungewohnten Orten in Walle über das Thema ZEIT zu arbeiten.

Tom Terhoeven steckte man in den wildromantischen kapellenartigen Keller des Volkshauses. Einst fungierte er als Leichenhalle. Grund genug für Terhoeven, mal wieder an Sperrmülltagen auf Schatzsuche zu gehen. Fündig wurde er vor einem Gröpelinger Fotoatelier. Etwa 50 postkartengroße Glasnegative (vermutlich aus den 50er Jahren) erinnern an diverse Hochzeiten – und an Fotografenknechte, die aus Frust vor soviel standardisierten, eingefrorenen Glückes (so spekulieren wir mal wagemutig) zwischendurch auch nackte Holzbohlen fotografierten.

Terhoeven plaziert das multiple, zerbrechlich-gläserne Eheglück auf Scheinwerfern am Boden und zwingt so den Betrachter in die Knie. Durchleuchtet wie auf einem Röntgenschirm wirkt es. Alle Paare sehen fast identisch aus, so identisch wie vielleicht auch die Lebensentwürfe in ihren Köpfen einst waren. Denn interessanterweise können wir verschiedene Gesichtszüge im Negativ nur sehr schwer unterscheiden. Das Negativformat ist außerdem ein hervorragender Trickbetrüger. Es macht aus dem Brautkleid eine Witwentracht und aus schweren Stoffen durchsichtige, hauchzarte Schleier.

Weil Terhoeven auch ein paar wenige Einzelporträts gefunden hat – zum Beispiel das eines Schornsteinfegers, der im Negativ schneewitchenweiß erscheint – wird die Formelhaftigkeit des Paarbildes besonders deutlich. Drei Orgelpfeifen verleihen dem rhythmisierten Raum optisch eine sakrale Atmosphäre, akustisch aber eher einen Sägewerks-Charme. Vergangenheit ist wohl immer komisch, traurig und wunderbar gleichzeitig. bk

Vernissage, heute, 18h, Volkshaus; von da aus Rundgang zu einem Übersee-Container im Speicherhof (textile Arbeiten von Esther Meyer-Velde) und der Arztpraxis M. Bentrup (Arbeiten der Kölnerin Reni Scholz). Die „Zeit“-Reihe wird im Oktober fortgesetzt mit weiteren Ausstellungen und Konzerten.