Fast Forward Abendland

„Die Tragödie des Menschen“ und „Antigone in Technoland“: Bei den Berliner Festwochen steppen junge Theater aus Ungarn und Makedonien durch die Kulturgeschichte. Ist das die Essenz von Techno?  ■   Von Christiane Kühl

Im Anfang war das Wort. Kein Wunder, dass Adam und Eva, kaum fertig geschnitzt, ans Mikrofon eilen. „Wir ändern uns, meine Damen und Herren, nicht die Zeit“, klärt eine diabolische Stimme das Publikum auf. Apfel, Erde, Internet – Geschichte ist die Geschichte des Beherrschens. Und bei genauerem Hingucken entpuppt sich das Mikrofon an jenem langen, mal Abendmahl, mal Pressekonferenz suggerierenden Tisch als kleine Kamera, und hinter Adam und Eva leuchten die Monitore: Die Sintflut ist eine Bilderflut.

Die Budapester Theatergruppe Mozgó Ház – The Moving House Company ist bereits zum dritten Mal in Berlin. Ihre Produktion „Die Tragödie des Menschen“ ist allerdings erstmals ein hier uraufgeführtes Auftragswerk. Ermöglicht wird das durch eine Koproduktion der Sophiensaele mit Theorem, einem Zusammenschluss von etwa 20 westeuropäischen Festivals zur Unterstützung des osteuropäischen Theaters, und den Berliner Festwochen, die in diesem Jahr – wie etwa 20 andere Festivals auch – „Junges Theater aus Osteuropa“ zu ihrem Schwerpunkt der darstellenden Kunst erklärt haben. In diesem Rahmen werden fünf Stücke aus Makedonien, Ungarn, Polen, Bulgarien und Litauen präsentiert – drei davon als Uraufführungen.

Die erste zeigte am Mittwoch das Makedonische Nationaltheater Skopje unter der Regie des Bulgaren Galin Stoev. „Antigone in Technoland“ sollte seine These belegen, dass es Parallelen zwischen Raves und dem Phänomen des antiken Chors gebe. Zu sehen waren aber eher Parallelen zwischen Starship Troopers und Familie Feuerstein. Eine Hand voll Figuren in Fusselpelzen grunzte, määhte, muuhte und erinnerte sich ab und zu an klassische Gesten. Vor Beginn der Aktion hatte bereits eine sonore Stimme über Kopfhörer „I will be your guide tonight“ angeboten, die dann das Bühnengeschehen in gebrochenem Englisch kommentierte. Doch der comichafte Schnelldurchlauf durch die Tragödie ist zu klamaukig, als dass er länger als 20 Minuten interessiert. Und was daran, wie versprochen, ganz ohne Musik und Computer „the essence of techno“ sein sollte, bleibt ein Geheimnis. Es sei denn, man orientiert sich am real existierenden Megarave – dann macht ein Ende im partiellen Kollektivselbstmord respektive kommunaler Komplettverblödung natürlich schon wieder etwas Sinn.

Die Moving House Company hat sich noch mehr vorgenommen – gleich die gesamte Evolution im Zeitraffer zu präsentieren. Und die Ungarn haben ein Konzept, das aufgeht. Vergangenheit ist ihnen Kulisse der Zukunft und Imre Madáchs „Tragödie des Menschen“, formal zwischen dramatischem Gedicht und philosophischem Traktat angesiedelt, eine Vorlage, die wie alles Theater im Vollzug der Aufführung spielerisch kommentiert werden muss. Versetzt im Original Luzifer Adam und Eva in Schlaf, um ihnen im Traum ihre wenig Gutes verheißende Zukunft erscheinen zu lassen, schickt Regisseur László Hudi sie auf eine enzyklopädische Bilderreise. Drei Monitore führen die Geburtsstätten der abendländischen Kultur in ihrer lexikalischen CD-ROM-Version vor, während zwei Leinwände durch Überlagerung von Historienschinken und Live-Kameraeinblendungen Geschichte als perspektivisches Bildertheater zeigen. Bisweilen macht die Videodominanz die Konzentration auf die elf Darsteller und das parallele ironische Bühnengeschehen unmöglich, doch gelingt es durchgängig, Spannung zu halten. Vom Hostienknabbern bis zum Bauknechtballett. Ägypten, Rom, Konstantinopel, Paris – alles dröhnt, flackert, flimmert. So ist es am Ende der Schöpfung. Der Letzte macht das Licht aus.

„Die Tragödie des Menschen“, noch bis zum 8. September, jeweils 20 Uhr, Sophiensaele, Sophienstraße 18