Berliner Kurden bleiben Abdullah Öcalan treu

■ In Europas größter kurdischer Gemeinde wird der Gewaltverzicht des PKK-Chefs begrüßt. Doch sollte er hingerichtet werden, fürchten viele einen neuen Ausbruch der Gewalt

Strahlende Menschen, ein Junge mit Trommel, eine Folkloregruppe und viele große Buchstaben, die zu einem „Fest der Begegnung“ in den Berliner Bezirk Schöneberg laden. Das Poster in Kazim Babas Händen ist schön bunt, doch der Vorsitzende des Kurdischen Zentrums in Berlin stößt sich daran: Nur auf Kultur würden die Kurden wieder beschränkt, klagt er, dabei gehe es doch um Politik, gerade jetzt!

Etwa 60.000 Kurden leben in Berlin; in keiner anderen europäischen Stadt ist die kurdische Gemeinschaft so groß. Deshalb sind die Funktionäre der Hauptstadt-Kurden mächtige Männer – die Kreide gefressen haben in diesen Tagen. Grund ist der Gewaltverzicht, zu dem der zum Tode verurteilte PKK-Führer Abdullah Öcalan seine Truppen aufgerufen hat.

Kazim Baba lobt in seinem kleinen, schmucklosen Büro den Schritt Öcalans. Der Rückzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei mache den Weg frei für eine friedliche und demokratische Lösung der kurdischen Frage. Die PKK habe den bewaffneten Kampf sowieso nur aufgenommen, da ihr keine andere Wahl geblieben sei. Die anfängliche Skepsis vieler Berliner Kurden gegenüber dem neuen Kurs weiche mehr und mehr einer Zuversicht, dass auch die türkische Seite Schritte in Richtung Demokratie und Frieden mache.

Die Entführung Öcalans hatte Mitte Februar zu gewalttätigen Krawallen geführt, an deren Ende vier Tote vor dem israelischen Generalkonsulat in Berlin lagen. Knapp sieben Monate danach haben sich offenbar die Friedenstauben unter den Kurden durchgesetzt. Die große Mehrheit der Kurden, meint Siamend Hajo, Sprecher des Kurdischen Elternvereins, begrüße den Gewaltverzicht Öcalans. Allerdings bemängelten manche, dass er vor Gericht, etwa mit seiner Entschuldigung für die türkischen Gefallenen, zu viele Zugeständnisse gemacht habe. Einige würden gar von „Feigheit“ sprechen. Deshalb sei die Abspaltung einer radikalen Gruppe von der PKK möglich.

Kader Alyousef, in der Kurdischen Gemeinde für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, beobachtet bei seinen Landsleuten „eine Leere“ nach der Verhaftung Öcalans. Viele fragten sich, wie es weiter gehe. Denn Europa sei erneut dabei, „die kurdische Sache zu vergessen“. Zur Rolle Öcalans sagt er: „Die kurdische Frage war nie von einer Person abhängig.“

Giyasettin Sayan, für die PDS im Abgeordnetenhaus, hält die mögliche Exekution Öcalans nicht für entscheidend. Wichtiger sei den Kurden, ob „die kurdische Frage offen bleibt“. Viele glaubten, die Mission der PKK sei nun erfüllt; das brennende Problem der Unterdrückung ihres 40-Millionen-Volkes wieder ins öffentliche Bewusstsein zu heben. Öcalan sei durch seine Verhaftung und den Gewaltverzicht nicht beschädigt worden. Im Gegenteil: Das alles habe ihm zusätzliche Popularität verschafft. Und der Einfluss der PKK unter den Kurden sei nach wie vor groß, betonen alle drei.

Trotzdem glaubt keiner der Funktionäre, Ausschreitungen nach einer Exekution Öcalans verhindern zu können. Alyousef warnt, es würde „mit Sicherheit“ wieder Krawalle geben – dafür sorgten schon allein türksche Provokateure und deutsche Autonome. Was passiert dann in der Türkei? Kazim Baba lächelt resigniert. Er erwarte eine „große Eskalation“. Und in Europa? „Ich will gar nicht darüber nachdenken.“ ges