Wieder da!
: STAHLNETZ

Eine Liebeserklärung  ■ Von Jan Feddersen

Einzelne Folgen waren in größeren Videoläden stets vorrätig. Der NDR bestückte mit Teilen der Reihe schon vor zwanzig Jahren sein quotensattes „Fernsehmuseum“. Kürzlich bestritt das Berliner Dritte, B1, einen „Gernsehabend“ mit drei Beiträgen aus dieser Serie. Vergessen war „Stahlnetz“ nie.

Ende der Fünfzigerjahre entwickelten zwei damals noch eher weniger prominente Hamburger TV-Journalisten die Reihe: der später berühmte Wolfgang Menge (“Ein Herz und eine Seele“) und Jürgen Roland (“Großstadtrevier“). Die Idee zu „Stahlnetz“ stammte aus den USA: echte Kriminalfälle zur Grundlage eines Krimis zu machen, also keine großen Verschwörungen, keine Heldenepen zu erzählen, sondern vom wirklichen Polizeialltag.

Von der ersten Folge an – die zunächst noch mit „Der Polizeibericht meldet“ betitelt war – hieß es immer, dem Fall läge eine wahre Begebenheit zugrunde, lediglich die Namen und Orte seien verändert worden. Durch diese Machart gewann das „Stahlnetz“ seine Popularität – die 23 Folgen wirkten so authentisch, als sei die Kamera schon bei den echten Ermittlungen dabei gewesen. Die Kommissare (Frauen kamen nicht vor) waren wie wir: mal gut gelaunt und optimistisch, bei anderer Gelegenheit mürrisch oder enttäuscht. Man bekam die mühsame Sammlung der Indizien mit, nahm an der Wägung von Hinweisen und Fahndungsergebnissen teil, als wäre man wirklich dabei. Abgesehen davon, dass Folgen wie „Das Haus an der Stör“ (1963), „E 605“ (1963, Quote: 92 Prozent) oder „Die Tote im Hafenbecken“ (1958) auch schauspielerisch fein gespielt waren, zeigte „Stahlnetz“ viel von der bundesrepubikanischen Wirklichkeit seiner Zeit.

Anders als zehn Jahre später „Der Kommissar“, dessen kriminelle Potenziale meist im Milieu der Reichen und Schönen angesiedelt waren, zeigten Menge und Roland die echten Seiten der Wirtschaftswunderrepublik: Arbeiter in ihren Bretterbuden, alleinstehende Frauen, die auf Heiratsschwindler hereinfielen, Flüchtlinge, deren Armut nicht weggeschminkt schien. Darüberhinaus authentische Kulissen, vor allem Trümmerwüsten im Nachkriegsdeutschland, Bratkartoffelmief, Zackigkeit im Umgang, gerade bei der Polizei.

Ende der Sechzigerjahre schien das Genre des dokumentarisch gewirkten Kriminalfilms niemanden mehr zu interessieren. „Der Kommissar“, später „Der Alte“, „Derrick“ oder die ARD-Reihe „Tatort“ setzten auf andere Charakteristika. Die ZDF-Helden verlegten sich auf Psychologie, auf die Erläuterung krimineller und kriminalpolizeilicher Seelen; der „Tatort“ setzte vor allem auf Dramatik, am erfolgreichsten in der Figur des Horst Schimanski.

Heute ist selbst der Geschichte. Es dominiert die Konfektion des Formatfernsehens. Die Wohnungen sehen immer mittelschichtig aus (viel Ikea, viel Bauhaus), und Junkies scheinen sich nur unter Gleisviadukten wohl zu fühlen, wo sie sich selbst sommers an brennenden Ölfässern wärmen. Statt Handlung zu zeigen, wird geraunt – und am Ende gibt's immer eine Verfolgungsjagd mit etlichen Explosionen und Tätern, die sich von Hochhäusern stürzen.

Der NDR hat sich nun auf ein Experiment eingelassen: „Stahlnetz“ darf auferstehen. Sonntag beginnt die (diesmal farbige) Wiederauflage mit der Folge „Die Zeugin“, eine Woche später kommt „Der Spanner“. Die filmische Struktur bricht mit allen aktuellen TV-Krimiserien und setzt exakt dort wieder an, wo der Klassiker 1968 aufgehört hat: bei der Bearbeitung realer Fälle.

Die Polizei (endlich mit einer Kommissarin, hier ganz wunderbar Suzanne von Borsody) ermittelt akribisch. Kein Schritt in der Indizienaufnahme und der Recherche bleibt dem Publikum verborgen. Spezialität aber ist wieder die Stimme aus dem Off – die des Kommissars, der Kommissarin, die gelegentlich den Stand der Ermittlungen zusammenfasst, erzählt, woran es gerade wieder gebricht, um den Fall aufzuklären.

Beide Drehbücher hat Jessica Schellack verfasst, Tochter des Regisseuers und gelernten Polizeireporters Jürgen Roland. Beim ersten Buch hat ihr noch Wolfgang Menge über die Schulter geschaut, beim zweiten hat sie allein die Erzählung gestrickt. In beiden Stücken ist es ihr gelungen, die Spannung bis zum Ende zu halten. Suzanne von Borsody ist als spröde, aber (dabei nie aufdringlich) sensible Polizeibeamtin angelegt; Bernhard Bettermann, Ermittler der zweiten Folge, wird als besessenener Kriminalist geschildert, der sich sicher glaubt, einen Vergewaltiger überführen zu können. Beide Filme leben weniger von hastigen Schnitten als von der kriminalistischen Einfühlung vor allem in die Opfer.

Dabei wird nicht unnötig psychologisiert. Kein Ermittler sitzt brütend am Schreibtisch und wartet auf eine Erleuchtung, die das Verbrechen löst. Beide Beamte recherchieren akribisch, die Kommissarin sogar nachts, eingebettet in die Kissen ihres Bettes.

Auch Thomas Bohn, Regisseur der beiden neuen „Stahlnetz“-Folgen, hat auf inszenatorische Mätzchen weitgehend verzichtet. Vielleicht hätte er die „Tatort“-Frontfrau Ulrike (alias Lena Odenthal) als Kommissarsgattin nicht ganz so plakativ zur nähenden und bügelnden Hausfrau machen sollen. So hausfrauig ins Bild gesetzt, wirkt der Scherz fast übertrieben und unfreiwillig komisch.

Noch ein kleines Ärgernis: Bettermann als Kommissar scheint seine Atem-, Stimm- und Sprechübungen noch nicht lange absolviert zu haben: allzu akkurat betont er in seinen Off-Texten die Endsilben, als wäre er beim Vorsprechen an einem Landestheater. Auch hier drängen sich Vergleiche auf: Die Akteure der „Stahlnetz“-Klassiker waren Stars ihrer Zeit: Rudolf Platte, Wolfgang Völz, Dieter Eppler, Helga Feddersen, Peggy Parnass. Sie überzeugten vor allem durch Dezenz.

Das Revival, das den Kriminalfall wieder ernst nimmt und deshalb Geschichten zu erzählen versteht, wird dem „Tatort“ Konkurrenz machen, „Siska“ und den anderen Formatserien sowieso.

„Stahlnetz: Die Zeugin“, Samstag, 20.15 Uhr, ARD

„Stahlnetz“ zeigte das Wirtschaftswunderland: Arbeiter in Bretterbuden, Flüchtlinge, denen die Armut anzusehen war

Die neue alte Reihe wird dem „Tatort“ Konkurrenz machen, „Siska“ und anderen Formatserien sowieso