■ Einen Tag pro Woche müssen die Läden geschlossen bleiben
: Es lebe die Gleichmacherei

Sonntags herrscht Ruhe – einigermaßen wenigstens. Das Schöne daran: Es ist eine gemeinschaftliche Ruhe. Man hängt durch, aber nicht alleine. An keinem anderen Tag der Arbeitswoche kann man so sicher sein wie am Sonntag, mit seinen Verabredungswünschen nicht schon am Anrufbeantworter zu scheitern. Denn noch herrscht eine weitgehende Ähnlichkeit der Lebensbedingungen: Von 36 Millionen Erwerbstätigen haben 28 Millionen am Sonntag frei. Gleichmacherei hat ihre Vorteile, denn die Wahrscheinlichkeit, einen Freund zum Ausflug überreden zu können, ist extrem hoch.

Das allein würde als Grund schon ausreichen, um die Geschäfte sonntags auch weiterhin geschlossen zu halten. Jüngste Äußerungen der SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, die die völlige Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes ablehnt, stimmen optimistisch.

Die gesellschaftliche Konvention des – abgesehen vom Samstagvormittag – freien Wochenendes schafft eine Leere, die gefüllt werden will und kann – mit Menschen. Der soziale Raum ist so weit geöffnet wie sonst nie. Versuchen Sie einmal, am Donnerstagnachmittag zwei Paare mit Kindern zu einer gemeinsamen Vergnügung zusammenzubringen. Ihre Chancen stehen schlecht – selbst wenn die Umworbenen flexibel arbeiten und in der Woche freie Tage nehmen. Garantiert haben die Freunde gerade am Donnerstag keine Zeit. Die völlige Flexibilisierung der Arbeit ist asozial – zerstört sie doch die Verlässlichkeit, die gleichen Lebensbedingungen innewohnt.

Fiele der Ladenschluss am Sonntag, wäre das ein Zeichen. Dafür, dass auch in anderen Branchen die Maschinen- und Beschäftigtenlaufzeit verlängert wird. Auf die Dauer trifft es nicht nur PolizistInnen, Krankenhausangestellte und VerkäuferInnen, sondern auch RechtsanwältInnen, LehrerInnen und Anstreicher. Denn die Knabberei am Ladenschluss entspricht der marktwirtschaftlichen Logik, Nische nach Nische zu kolonisieren, in der der Rubel noch nicht rollt. So entsteht Wachstum.

Um sich den freien Sonntag zu leisten, muss man nicht Christ sein. Man muss allerdings ein zweifaches Bürgerrecht einfordern: das Recht auf Pause und das Recht auf Individualität. Auf Individualität gegenüber dem mitreißenden Strom der Liberalisierung, der weltweit kulturelle Grenzen sprengt. Für diese kleine Widerborstigkeit muss man sich nicht schämen. Sie mutet altertümlich an, bedeutet aber Lebensqualität. Hannes Koch